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8.5
2010: Die Fangemeinde hat sich damit abgefunden, dass Iron Maiden nun auf längere Songs setzen, teils komplexe (nicht progressive, verdammt nochmal!) Strukturen und zwischendurch auch ein wenig Gedudel. Die Singleauskopplungen, die immer eher im Geiste des Frühwerks lebten, brachten es im Albumkontext demletzt konsequent am wenigsten. Also dann doch lieber die Epen. "The Final Frontier" war nach dem tollen "A Matter Of Life And Death" aber leider die komplette Schlaftablette und konnte sich nur durch den Maiden-Bonus und das phantastische "When The Wild Wind Blows" auf mittelmäßige Reviews retten. So soll das letzte Album dieser größten Metalband aller Zeiten (Metallica? Ich sagte Metal, nicht Country) klingen? Dieser enormen Liveband, diesen Helden, die fast im Alleingang die harte Musik an jeden Winkel der Erde brachten?
2015: Es darf aufgeatmet werden. Es kommt doch noch ein Album. Gemischte Gefühle zu den ersten Ankündigungen; so ein "normales", fast schon uninspiriertes Cover? Naja. Aber hoppla, dafür gibt es gleich 2 CDs! Und Gott sei Dank auch auf einem einzelnen Album. Wieder ist ein Song länger als der andere, ja, mit "Empire Of The Clouds" liefert man gleich das längste Stück der Iron Maiden- Bandgeschichte. Und dann auch noch eine Bruce Dickinson-Komposition? Im Alter traut sich das Sextett aber mal 'was! Ein angespanntes Schwitzen begleitet den Maiden-Maniac über die nächsten Monate. Reviews zu Iron Maiden sind immer eine schwierige Sache; einerseits, da die Band ein mittlerweile so ungeahnt riesiges Lebenswerk hat, dass dem keine Beschreibung gerecht werden kann, womit Vergleiche automatisch schwerer werden. Andererseits, da es selten Menschen gibt, die das Früh-und Spätwerk gleichermaßen schätzen und wenn, dann ist es doch immer noch eine Unmöglichkeit, neutral zu formulieren, welches Album welchen Stellenwert einnimmt. Eines ist von Beginn an klar: "The Book Of Souls" möchte hoch hinaus. 11 Tracks zu insgesamt 92 Minuten erwarten einen auf diesem ambitionierten Monster von einem Album und keiner davon möchte unter 5 Minuten über die Zielgerade gehen. Die Produktion ist auch schon wesentlich angemessener als auf dem Vorgänger. Klar, abermals sind die drei Gitarren schwer herauszuhören, aber richtigerweise ist das Schlagzeug nur unterstützend und der Gesang nur leicht hervorgehoben. Die zwei CDs sind ebenso schön verziert, wie auch das Booklet voller wunderbarer Zeichnungen ist, die das mediokre Cover schnell vergessen machen. Das Ganze gibt es dann auch in sehr schönen Formaten und als 3er-LP, die jedem Schwergewichts-Boxer Konkurrenz macht. Gute Vorzeichen, die der Opener "If Eternity Should Fail" direkt bestätigt. Dieser Track darf in einer Riege mit "For The Greater Good Of God", "Paschendale" und "Blood Brothers" genannt werden, oder, wenn man es herausfordern will, mit "Caught Somewhere In Time" und Ähnlichen. Definitiv ein Meisterwerk, das genau die Gitarrenarbeit präsentiert, die man von Iron Maiden hören will, während Bruce Dickinson eine seiner schöneren Gesangslinien darüber legt. Ginge es allein auf diesem Niveau weiter, würde "The Book Of Souls" nicht nur die Band-Top-5 sprengen, sonder womöglich gar die Top 3. Leider gibt es direkt einen Dämpfer; die Single-Auskopplung "Speed Of Light". Die Tradition mäßiger Maiden-Singles wird fortgesetzt und obwohl die Herren hier klassisch zu rocken versuchen, gelingt das doch nur über kurze Strecken. Der Schrei von Bruce Dickinson zu Beginn klingt sogar richtig kläglich. Tatsächlich gibt es auf diesem Album bei ihm die ersten Anzeichen von Altersschwäche, wenn auch noch weit entfernt von den traurigen Un-Performances, die ein Rob Halford dieser Jahre hinlegt. Ein Track zum vergessen. "The Great Unknown" ist eine leichte Besserung und hätte auf "The Final Frontier" zum besseren Material gehört. Klassischeres Steve Harris-Songwriting gibt es nicht, sanftes Intro/Outro, dazwischen ohne Klimax, dafür mit konstant hohem Spannungsbogen aufgebaut. Dass die Saitenfraktion Murray/Smith/Gers/Harris völlig ohne Fehl und Tadel ist, ist natürlich alles, nur keine Neuigkeit, aber man darf es zum Anlass des neuen Albums gerne noch einmal hervorheben. Als müsste eben dieses bestätigt werden, ist "The Red And The Black" einfach komplett perfekt. Unpeinliche Ohoho-Parts, nicht langweilige Galopp-Riffs... DAS können wirklich nur die wenigsten Bands. Aber was dann im Mittelteil an Instrumentalwahnsinn abgefeuert wird, spottet jeder Beschreibung. Einigen wird das sicher zu lang vorkommen, aber im Vergleich mit anderen Maiden-"Rumgedudel" ist das hier wirklich der Hauptgewinn. Weit über 13 Minuten und keine einzige Sekunde Langeweile! Schnell voran schreitet auch "When The River Runs Deep", zeigt dabei einen weitestgehend in der Komfortzone singenden Bruce Dickinson und einen unauffälligen Refrain. Die Zeiten der "4 Mal Albumtitel als Refrain gesungen"-Zeiten sind zum Glück vorbei. Dazu routinierte Gitarrensoli, die aber nicht so begeistern, wie im letzten Lied. Solides Mittelfeld, das auf keinem Maiden-Album negativ genannt würde. Titeltrack-Time. "The Book Of Souls" geht seine 10 Minuten wie erwartet ruhig an, bleibt dann auch nach Einsatz der harten Gitarren im mäßigen Tempo, punktet mit einer orientalischen Melodieführung, einer schönen Gesangslinie und ist eigentlich das, was auf diesem Album einem Doom-Track am nächsten käme. Zumindest knapp 6 Minuten lang, bevor das Gaspedal gestreichelt wird, um eine lange Instrumentalpassage einzuleiten. Hat etwas von frühen Deep Purple-Jams. Nicht jeder Hörer wird über 10 Minuten bestens unterhalten, aber insgesamt ist das doch sehr gut. "Death Or Glory" klingt wie der Mitt-Dreißiger-Bruder von "The Trooper"; nicht hungrig, nicht verspielt, aber mit jeder Menge Erfahrung und auch noch im Leben stehend. Eigentlich ein Live-Füller vor dem Herrn, der zum mitnicken animiert, aber im Vergleich zum bisherigen Material doch eher das untere Mittelfeld für sich beansprucht. Als Single-Auskopplung hätte es auch zig mal mehr Sinn ergeben als "Speed Of Light". Nunja. Ein wenig an die "The X Factor"-Atmosphäre erinnert "Shadows Of The Valley", das düstere Leadgitarren zu Komfort-Dickinson vorlegt und dann mehr und mehr an "Different World" erinnert. Ein toller, etwas langer, mit Keyboard unterlegter Refrain, der Spaß macht; dazu vergleichsweise wenige Instrumentalpassagen, ein möglicher Grower und Klassiker aus der zweiten Reihe, von denen Iron Maiden ja mehr haben, als jede andere Band. Ganz knapp an den 5 Minuten und damit der kürzeste Track des Albums ist "Tears Of A Clown". Man könnte auf erhöhte Geschwindigkeit schließen, aber es ist die Definition von Midtempo und auch nicht besonders spannend. Genauso schnell vergessen, wie gehört und damit das egalste Stück Musik auf "The Book Of Souls". Sollten die Clownstränen den Weg in's Live-Set finden, wird das die Nackenpause des Konzertes. Viel besser ist dann "The Man Of Sorrows", das sehr melodielastig einsteigt und auf "Seventh Son Of A Seventh Son" auch weit vom schlechtesten Song entfernt gewesen wäre. Eine der besten, weil gefühlvollsten Gesangsleistungen des Albums zu einem weiteren Midtempo-Track, der (Achtung, gewagt!) eine light-Alternative zu "Fear Of The Dark" werden könnte. Wäre ohnehin mal an der Zeit, jenes abzulösen. So, das große Finale, auf das alle gewartet haben. Was steckt denn nun hinter "Empire Of Clouds"? Die Überraschung dürfte groß sein, denn der Einstieg ist weder eine Leadgitarre, noch ein Harris-Bass, noch ein Urschrei oder ein Schlagzeugsolo, sondern ein von der Sirene höchstselbst gespieltes Piano. Und, meine Herren, auch wenn man abermals mosern könnte, dass ein-zwei Minuten nicht schlecht gewesen wären, ist das hier eine Achterbahnfahrt der großen Emotionen, die einen packt und nicht mehr loslässt. "When The Wild Wind Blows" konnte also tatsächlich übertrumpft werden und ich garantiere, dass wenn so ein Track von einer jüngeren Band gekommen wäre, man nicht mehr wüsste, wohin mit dem Lob. Die eisernen Jungfrauen bereichern ihren Sound damit gekonnt um eine weitere Facette. Wie soll man diesem Werk nun eine gerechte Punktzahl geben? Von 6,5 bis 9,5 ist, je nach Präferenzen, alles drin, denn die Kritiker, die überlange Songs, weniger wildes Songwriting und Routine ankreiden, werden hier genauso fündig wie Fans, die Iron Maiden wegen irgendeiner Facette abgöttisch lieben. Ob "The Book Of Souls" an "Brave New World" vorbeizieht und damit das beste Album seit den "glorreichen" '80ern ist, oder ob es nur ein weiteres "gutes" Werk ist, oder eine langweilige Fortsetzung der letzten Langweiler; ein in der Diskographie herausstechendes Album, eines der besten Alben, eines der schlechtesten... Alles ist möglich. Als Fan aller Maiden-Werke kann man getrost sagen: (Sehr) gut gemacht und... ja, es muss sein... Up The Irons! Trackliste
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