Wenn man mit der Tür ins Haus fallen müsste, könnte man gleich vorausschicken, dass
"72 Seasons" eine super Produktion, eine Vielzahl lässiger Riffsalven, einen klasse tönenden James Hetfield und auch ein sehr cooles Artwork hat. Ballade findet man auf der neuen Metallica keine und kommerziellen Topfen schon gar nicht. Somit finden die Ewignörgler und Metal-Polizisten mal auch gleich keinen ganz so driftigen Grund, die Könige unter der Gürtellinie zu kritisieren.
Schon gar nicht, weil der Monolith einer Scheibe alles andere als
"easy-listening" ist. Grund zur Euphorie ist dann aber im ersten Anblick natürlich auch nicht geboten, denn dass
"72 Seasons" Grund zum Räuspern bietet, steht natürlich auch fest.
Die neue Metallica ist ein fett und heavy klingender Riffkoloss, ein mit "Justice…"-Monumentalität getränkter Gangbang der "Load/Reload"- und "Black-Album"-Phase. Selbstredend ohne deren Durchschlagskraft, ohne deren Größe und ohne des endgeilen Hitpotentials und der Genialität des 91er-Meisterwerks.
Natürlich auch ohne die längst versiegte Ausnahmeklasse, die Metallica bis einschließlich ihres selbstbetitelten Jahrhundertwerk inne hatten.
Natürlich haben
Metallica mit
"72 Seasons" dennoch ein
hochwertiges und gutes Metal Album am Start und natürlich geht sich wieder der ein oder andere richtig gute Song aus. Götter müssen sich aber eben an ihren eigenen, göttlichen Wundertaten messen, und da wird’s halt einmal mehr schwierig bis unmöglich. Warum mich eine neue
Metallica immer noch so neugierig macht, kann ich mir eigentlich eh nicht mehr wirklich erklären. Alte Liebe rostet aber eben nicht und es ist ähnlich wie bei
Iron Maiden. Ganz tief drinnen hofft man ja immer noch auf den späten Geniestreich, der vielleicht noch mal die alte Größe und Klasse heraufbeschwört. Dass dieses Wunder nur noch seltenst (
"Firepower" von
Judas Preist war die große Ausnahme und das Wunder der letzten Dekade) passiert, beweisen all unsere Helden und Titanen leider immer wieder aufs Neue.
Auf der Habenseite der neuen, einmal mehr überlangen und durchaus fordernden
Metallica dürfen wir das coole und groovig Bass-dominierte
"Sleepwalk My Life Away", das relativ gut ins Ohr gehende
"Room Of Mirrors", das heavy groovende
"If Darkness Had A Son" und ein lebendig flott galoppierendes
"Shadows Follow" notieren.
Wenig revolutionäre, aber trotzdem gute Metallica-Tracks im Früh-90er Kleide. Songs, die man einst zwar nur als B-Seiten verwendet hätte, die aber in der neuen Zeitrechnung durchaus in der Startelf Platz finden, ohne um die Krone mitzuspielen. Vieles andere auf
"72 Seasons" lässt sich mit
"Riffs Riffs Riffs" beschreiben. Riffs, die zwar immer fett donnern, die aber leider nicht immer so zielsicher arrangiert werden, dass daraus Geniestreiche oder gar Hits würden.
Damit muss man aber eben leben und das kann man auch, denn die punkige NwoBhm-
"Kill Em All"-Referenz
"Lux Æterna", das knackige
"Chasing Light" und der monströse Riffmonolith eines Titeltracks sind eh
genau jene kleinen Höhepunkte der mittlerweile elften Studioscheibe der größten Heavy Metal Band des Planeten, die "72 Seasons" dann von einem durchschnittlichen, ja doch zu einem guten Album machen.
Einem lässigen und selbstsicheren Album, das man sich auch ohne Übernummer und ohne echten Hit problemlos für die nächste, längere Autofahrt einpacken kann.
Wer von
Metallica immer noch ein Ausnahmealbum in der Klasse der ersten fünf Referenzalben erhofft, der träumt von heißen Eislutschern. Das wird nie mehr passieren, also soll und muss man einfach nehmen, was man kriegt und das war im Hause
Metallica in den Zeitrechnung Mitte der 90er bis 2008 auch weit schlechter und abgestumpfter.
Würde man die besten Songs vom "72 Seasons" mit der bärenstarken A-Side von "Hardwired…" kombinieren, dann hätte man zwar immer noch keine geniales, aber ein verdammt cooles Metallica-Metal-Album ohne Schwachpunkt.
So bleibt abseits des Anspruchs auf Genialität halt einfach "nur" die dritte lässige Metallica in Folge. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.