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Dream Theater - Drahtseilakt im Traumtheater
Dream Theater - Drahtseilakt im Traumtheater  
Darkscene sprach für euch anlässlich des Dream Theater Konzertes im Wiener Gasometer am 27. Juli 2011 mit Keyboard-Virtuose und Technik-Freak Jordan Ruddess. Alles über den Besetzungs-Wechsel, den Entstehungsprozess zum neuen Album und Jordans neueste iPad App SampleWiz ...
Richman
Richman
(7 Interviews)
Umwälzende Ereignisse wohin das Auge blickt. Der Abgang von Mike Portnoy hat gehörig Staub aufgewirbelt, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wenn es daher etwas gibt, über das sich Dream Theater nicht beschweren dürfen, dann ist das ein Mangel an Schlagzeilen. Die perfekte Werbung für ein starkes neues Album "A Dramatic Turn of Events" (Zum Review). Die Band will es wissen und hat sich noch vor Veröffentlichung des Albums auf Tour begeben. Eine gute Gelegenheit für uns, sich die Neuigkeiten und Situation aus erster Hand erzählen zu lassen.



DarkScene: Zunächst einmal Gratulation zum Release eurer Single "On the Backs of Angels". Da hast du kompositorisch wirklich wieder eine Menge zur Single und zum Album beigesteuert?

Jordan Ruddess: Einer der schönen Aspekte des neuen Albums und der Single ist, dass wir besonders darauf geachtet haben, ein, bildlich gesprochen, schönes zu Hause für jedes Instrument zu finden. Das war uns wirklich ein Anliegen. Es ist jetzt nicht so, dass wir das in der Vergangenheit nicht getan hätten. Aber auf dem neuen Album ist uns eine wirklich schöne Balance gelungen, wie ich finde. Wir haben uns mehr Gedanken zur Orchestrierung gemacht und einen anderen Ansatz gewählt.

DarkScene: Mit "A Dramatic Turn of Events" bricht eine neue Ära für euch an …

Jordan Ruddess: Es ist ein großes und wichtiges Album für uns. Einfach weil wir ein Gründungsmitglied verloren haben, welches ja auch eine sehr einflussreiche Person war. Wir haben uns daher ganz besonders angestrengt um sicherzustellen, dass das was wir veröffentlichen auch Qualität hat. Wir wollten den Leuten zeigen, dass wir die ganze Thematik in einer erfolgreichen und positiven Art und Weise nicht nur zum Abschluss bringen wollen, sondern auch können. Immerhin schaut alle Welt auf uns und fragt sich, wie es mit Dream Theater nach Mikes Abgang weiter geht ...

DarkScene: Wie ist derzeit deine persönliche Beziehung zu Mike? Steht ihr Kontakt?

Jordan Ruddess: Nein. Es gibt keinen Kontakt zwischen uns. Weißt du, es ist für jeden eine schwierige Übergangsphase. Wir hoffen, dass sich das eines Tages ändern wird. Aber derzeit nicht …



DarkScene: Es gab ja all diese Berichte, dass Mike es sich angeblich im letzten Moment doch noch anders überlegt hätte und zurückkehren wollte. Da hattet ihr euch aber schon für Mike Mangini entschieden …

Jordan Ruddess: Diese Berichte stimmen alle. Er hat sich bei uns gemeldet und wollte zur Band zurückkehren. Zu diesem Zeitpunkt waren wir aber schon ein ganzes Stück weitergegangen, hatten unsere Auditions abgehalten, einen Dokumentarfilm gemacht, und uns für den neuen Schlagzeuger entschieden. Mike Mangini hatte bereits gekündigt und seinem früheren Arbeitgeber, dem Berklee College of Music in Boston gesagt, dass er bei Dream Theater einsteigen würde.

DarkScene: Wie fühlt es sich denn an mit Mike Mangini live zu spielen …?

Jordan Ruddess: Einfach unglaublich. Für mich absolut faszinierend zu beobachten wie sehr die Rolle des Drummers sich auf den Gesamtsound der Band auswirken kann. Mike Mangini ist ein phänomenaler Drummer. Er kann die ganze Band mit seinem Groove auf eine Art und Weise mitreißen, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Verstehe mich nicht falsch, ich habe mit einer ganzen Reihe von fantastischen Schlagzeugern zusammengespielt – alles herausragende Musiker. Mit Mike Mangini zu spielen ist aber eine Klasse für sich. Ich wusste, dass er gut war als wir ihn ausgewählt hatten. Ich war wirklich beeindruckt wie perfekt er alle Songs während der Audition gespielt hat. Was ich zu diesem Zeitpunkt aber noch wusste war, dass er auf der Bühne so powervoll und kontrolliert spielen würde. Wir sind alle überglücklich. Einfach großartig.

DarkScene: Wie haben die Fans reagiert?

Jordan Ruddess: Die Fans haben Mike begeistert angenommen. Es ist für uns schön zu sehen, welch Support ihm zuteil wird, wenn wir ihn den Fans vorstellen. Er ist einfach ein toller Schlagzeuger und hat eine unheimlich positive Energie - und ein netter Kerl ist er obendrein. Mike Mangini kommt in einen Raum und man spürt sofort seine Ausstrahlung. Er lacht, ist gut gelaunt und energiegeladen. Es ist schwer, ihn nicht zu mögen. Auch weil er ein so verdammt guter Musiker ist.

DarkScene: Wenn man sich euren Backkatalog und eure Songs ansieht, dann fragt man sich unweigerlich - wie merkt ihr euch diese komplizierten Arrangements?

Jordan Ruddess: Jeder in der Band hat einen anderen Ansatz. John Petrucci zum Beispiel hat einfach ein unglaubliches Gedächtnis. Egal ob wir im Studio sind oder an einem Song schreiben, er merkt sich einfach jede Passage. Ich, auf der anderen Seite, habe ja einen klassischen Hintergrund und notiere alles, bis zum heutigen Tag. Dabei muss man sich ja auch ein wenig unsere Arbeitsaufteilung ansehen, wo jeder eine andere Rolle hat. Ich zum Beispiel benutze auf der Bühne 500, in Worten - fünfhundert - verschiedene Sounds. Einmal einen Streichersound hier, ein Piano da, einen Sound für das tiefe „A“, und ein Sample dort, etc. Das ergibt in Summe eine Menge Sounds an einem Abend. Ich habe da natürlich eine Geheimwaffe. Ich habe meinen KORG Kronos den ich mit einem Fußpedal kontrolliere und mit dem ich die Sounds für jeden Song durchsteppen kann. Ich habe aber auch ein Display, und manchmal mache ich mir bei gewissen Songs auch Notizen. Auf einem Piano zum Beispiel würden viele Sachen überhaupt keinen Sinn ergeben, aber auf dem Keyboard kann man sich schon gewisse Sachen auf nur eine Taste programmieren. Mit dem kleinen Finger zum Beispiel einen Sound der drei Oktaven tiefer erklingt, und mit dem Daumen einen Waldhorn Sound. Da gehen eine Menge Sachen ab. Aber um auf deine Frage zurückzukommen – ich persönlich verwende auch Noten und Anmerkungen.

DarkScene: Welche Kriterien waren denn für die Zusammenstellung der Setlist der laufenden Tour ausschlaggebend?

Jordan Ruddess: Das hat eine Menge Spaß gemacht. Und war auch ein Haufen Arbeit. In der Vergangenheit war es ja meist so, dass Mike Portnoy die Setlist zusammengestellt hat. Dieses Mal jedoch haben wir uns unser Repertoire angesehen und gefragt, welche Songs wir wirklich spielen wollen. Wir haben uns gefragt, mit welchen Songs wir uns auf dieser Tour wohlfühlen würden, welche Songs wir wirklich mögen. Jeder hat seine bevorzugten Songs genannt und wenn ich mich richtig erinnere, haben wir das alles auf einem Excel Sheet festgehalten und uns das Ergebnis genau angesehen. Fünf Stimmen für diesen Song, aber nur eine für den … usw (lacht). Wir sind da sehr systematisch an die Sache herangegangen. Dabei hat sich schnell herausgestellt, welches die Songs sind, die jeder live spielen möchte. Als nächsten Schritt haben wir uns gesagt: Jetzt lasst uns noch Songs von verschiedenen Alben raussuchen. Ich glaube, dass wir, was die Setlist und die Erwartungen der Fans betrifft, für diese Tour eine recht gute Balance gefunden haben.



DarkScene: Lass uns doch über euer neues Album "A Dramatic Turn of Events" reden. Kannst du unseren Lesern etwas zum Entstehungsprozess erzählen?

Jordan Ruddess: Sehr gerne. Die Kompositionsphase lief sehr entspannt ab. John Petrucci und ich, die wir ja die Hauptsongschreiber der Band sind, haben uns wie in der Vergangenheit zusammengesetzt und an den neuen Songs gearbeitet. Das war eigentlich nicht viel anders, als in der Vergangenheit. Was jedoch dieses Mal anders war, war das Bewusstsein dieses Mal besonders im Rampenlicht zu stehen und zu wissen, dass wir dieses Mal ein Top-Produkt würden abliefern müssen. Wir standen unter Druck, etwas wirklich Großartiges zu schaffen. Und wir haben das auch sehr ernst genommen.

Dementsprechend sind wir auch mit dem nötigen Ernst an die Sache rangegangen und haben sichergestellt, dass das Ergebnis auch das ist, was wir wollten. Und das wussten wir immer dann, wenn wir uns bei gewissen Passagen angesehen und dabei gelacht haben und sagen konnten „Das ist es“, und jeder im Raum damit zufrieden war. Dann wussten wir, ok, lass uns weiter machen und die nächste Passage schreiben. Unser Ansatz war deshalb so lange an etwas zu arbeiten, bis es perfekt war. Was anfangs gar nicht so einfach war, weil kein Drummer im Raum war, und Mike Mangini noch nicht wirklich dabei war.

DarkScene: Ihr habt also ohne Drummer geschrieben?

Jordan Ruddess: Wir hatten einen Schlagzeugcomputer, der uns beim Verständnis unserer Ideen sehr geholfen hat. Und wir haben damit auch aufgenommen um eine Vorstellung von dem zu haben, was wir geschrieben hatten.

DarkScene: Kannst du uns war zum neuen Coverartwork erzählen?

Jordan Ruddess: Das Plattencover stammt von Hugh Syme der schon eine Menge Cover für uns entworfen hat. Als John ihm den Hintergrund der Platte und das Konzept der Texte beschrieb, kam ihm offenbar spontan diese Idee, die er sofort zu Papier brachte. Und was du siehst, ist das Resultat davon. Einfach seine Inspiration (lacht).

DarkScene: Lass uns über deine neue iPad Applikation „SampleWiz“ reden. Was ist das genau?

Jordan Ruddess: (Enthusiastisch) Das ist meine andere Beschäftigung und Leidenschaft, die ich gemeinsam mit meinem Partner Kevin Chartier entwickelt habe, nachdem wir bereits sehr erfolgreich gemeinsam an MorphWiz gearbeitet hatten. Es ist eine komplett neue Art, Musik zu machen. SampleWiz ist ein Sampler mit dem du allerhand Sachen anstellen kannst, du kannst reinsprechen und es sofort wiedergeben und verfremden.

DarkScene: Hast du das Teil auch programmiert?

Jordan Ruddess: Nein, ich bin kein Programmierer. Ich bin mehr so eine Art musikalischer Ideengeber. Ich habe eine Vorstellung was für ein Instrument ich kreieren möchte und versuche das dann auch zu realisieren. Eine der Sachen die ich mache ist, mit brandneuen Instrumenten und Kontrollern zu arbeiten. Ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung in welche Richtung zukünftige Instrumente gehen sollten. Ein beträchtlicher Teil meiner Persönlichkeit und auch meiner Firma Wizdom Music dreht sich um Instrumente und innovative Kontroller von denen ich nur einen Bruchteil bei Dream Theater einsetzen kann. Die Band ist zwar ein großer Teil meines Lebens, aber darüber hinaus gibt’s auch noch viel mehr. Ich bin interessiert an elektronischer Musik, spiele klassisches Piano oder improvisiere auch gerne. Und ich höre mir auch Sachen wie Radiohead oder Aphex Twins an. Von daher habe kann ich sagen, dass ich ein sehr reiches musikalisches Leben führe ...



DarkScene: Da bietet sich ja geradezu die Frage an, was du gerade hörst?

Jordan Ruddess: Hmm. Um ehrlich zu sein, im Moment gar nicht so viel. Die ganze Tourvorbereitung mit den dazugehörigen Proben nimmt einfach gewaltig viel Zeit in Anspruch. Ich habe erst unlängst mit einem Freund von mir von Infected Mushroom (Anmkg.: eine israelische Psytranceband) gesprochen, dessen Musik mir sehr gut gefällt und deren Album ich mir gerade runtergeladen habe. Wir werden vielleicht in Zukunft was gemeinsam machen. Und dann habe ich da noch eine andere Sache am Start. Sieh dir mal das offizielle Video zu SampleWiz an, das ich mit den Leuten von RML Project gemacht habe. Sehr talentierte Musiker aus Israel die ich kennengelernt habe. Wir haben sehr coole Sachen gemeinsam gemacht.

DarkScene: Zum Abschluss noch die traditionelle Darkscene Frage: was sind die fünf Alben, ohne die du nicht leben könntest?

Jordan Ruddess: Hah. Das ist einfach. Dazu gehören sicher Yes mit "Close to the Edge", King Crimsons "Court of the Crimson King", Gentle Giant "Free Hand", Pint Floyds "Dark Side of the Moon", Jimi Hendrix "Electric Ladyland". Da waren jetzt fünf, oder? (lacht)

DarkScene: Du bist seit 1999 bei Dream Theater. Wie hat sich die Band für dich in den letzten zwölf Jahren gewandelt?

Jordan Ruddess: Also ganz klar gab es die gravierendsten Umwälzungen erst vor kurzem mit Mike Portnoys Abgang. Daraus folgte auch, dass sich die internen Rollen der Bandmitglieder gewandelt haben. Als ich 1999 zur Band gestoßen bin, machte die Band gerade einen wichtige Transition durch und begab sich nach dem sehr erfolgreichen "Images and Words" auf (rein wirtschaftlich gesehen) sicheres Terrain, wenn du so willst. Die Band brauchte aber einen Energieschub und ich glaube, dass John Petrucci sehr froh war, mich als neuen Kompositionspartner ins Boot geholt zu haben, was der Band als solches sehr geholfen hat. Wir haben das über die Jahre weiterentwickelt und gepflegt. Und jetzt haben wir einen neuen Level erreicht. Mit Mike Mangini haben wir einen phänomenalen neuen Musiker und wir sind bereit, abzuheben (lacht). Wir sind mit dieser Band wirklich sehr gesegnet - großartige Menschen und fantastische Musiker ...

DarkScene: Vielen Dank für das nette Gespräch und alles Gute für die Zukunft!

Jordan Ruddess: War gut mit dir zu plaudern ...



Hier noch die Setlist des Konzerts vom 27. Juli 2011 im Wiener Gasometer:

"Under a Glass Moon"
"These Walls"
"Forsaken"
"Endless Sacrifice"
"Drum Solo"
"The Ytse Jam"
"Peruvian Skies"
"The Great Debate"
"On the Backs of Angels"
"Caught In A Web"
"Through My Words"
"Fatal Tragedy"
"The Count of Tuscany"
Zugabe:
"Metropolis Pt. 1. The Miracle and the Sleeper"

Abschließend sei noch angemerkt, dass das ausverkaufte Konzert wirklich zu begeistern vermochte. Man konnte förmlich spüren, dass die Band geradezu erleichtert und leidenschaftlich aufspielte. Was wohl auch damit zu tun hatte, dass Mangini von den Fans begeistert aufgenommen wurde. Zwar wurde angesichts der Setlist auch der eine oder andere Fan wild fluchend nach dem Konzert von dannen ziehen gesehen. Aber das wird nicht das letzte Traumtheater-Konzert gewesen sein. Und zukünftige Setlists werden sicher wieder den einen oder anderen Hit zutage fördern. So gesehen waren viele Fans vielleicht über eine kleine Abwechslung zu Konzerten vergangener Jahre ganz froh ...
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