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9.0
Polyrhythmik trifft auf flirrende Gitarrenläufe, "schruntige" Riffs paaren sich mit spartanisch anmutenden Keyboard-Läufen, eine Band im Temporausch in einem an LIQUID TENSION EXPERIMENT (DT-Nebenprojekt) gemahnenden Soundgewand ... bis sich das ganze in eine herrliche, von Jon Petrucci intonierte Melodie auflöst, schön breit und relaxt wird der Song rein instrumental weitergetragen bis zum neuerlichen Bruch, und endlich, bei Minute 5:13 hat James LaBrie (v) seinen Auftritt. So beginnt sie, die aktuellste Offenbarung von New York's erster Adresse in Sachen Prog Metal. Mit einem Neun-Minuten-Song, dessen zweiter, mehr als viertelstündiger Teil an das Ende des Albums gesetzt wurde - wobei letzterer weitaus technischer, verspielter und auch verrückter daherkommt und mich persönlich im ersten Viertel sehr stark an Tracks von "Awake" (1994) erinnert: betont ruhig das Ganze und gründend auf voll tönenden Basslinien von John Myung, mit leisen Synthie- und Key-Arpeggios. Daraus entwickelt sich der Song wiederum in eine stark Metal-lastige Richtung, inklusive massiven "Crowd"-Shouts á la "FEAR!", "DEATH!" ... und plötzlich: "It's time for your reckoning!". Und diese Abrechnung kommt in Form eines Instrumentalteils daher, der sich aber so was von gewaschen hat! Jeder der Musiker spielt sich in einen rauschgleichen Zustand, bis schlußendlich Jordan Rudess (k) das melodische Gitarrenthema des ersten Teils wiederaufnimmt und so das grande finale einläutet, in dem abermals Sänger James zeigt, was er kann. Eine ungewöhnliche Idee, diesen Song zweizuteilen und damit die Scheibe beginnen und enden zu lassen, aber die Wirkung läßt die Absicht erahnen: wie zwei monumentale Säulen ein Gebäude, so rahmen diese Stücke einen Longplayer ein, der zuerst zwar aufwühlt und Fragen offen läßt, aber gleichzeitig sehr selbstbewußt daherkommt und mit jedem Hören weiter wächst ...
Ungeahnte Härten tun sich bei dem einen oder anderen Song auf, hier genannt sei das vielen bereits bekannte vorab ausgekoppelte, mit einem großartigen Refrain ausgestattete "Constant Motion", welches - ähnlich "As I Am" von "Train Of Thought" (2003) - so einige METALLICA-Reminiszenzen aufweist. Und es ist durchwegs eine sehr direkte, gezielte und auf eine Weise glaubwürdige Härte. Petrucci's Riffing trifft, wo es treffen soll und spricht eine deutliche Sprache: die barocke Opulenz der frühen Alben, die auf "Scenes From A Memory" (1999) noch mehr als durchblitzte, ist endgültig Vergangenheit. Und auf diese Weise fügt sich meiner Ansicht nach das vorliegende Werk nahtlos in die Reihe der DT-Alben des noch jungen 21. Jahrhunderts. Durchschaubare Rhythmen, große Melodien und schwelgerische Musikalität findet man auch hier wieder logischerweise - denn auch das macht diese Band (zum Glück) aus. So darf ein Song wie "Forsaken" durchaus mit Nummern wie "These Walls" vom Vorgängeralbum (für mich einer der größten DT-"Hits") verglichen werden: Ohrwurm-Chorus, tolle Harmonien, trotzdem musikalische "Schmankerl" - dafür kann nicht nur der gemeine Proghead gewonnen werden! "The Dark Eternal Night" ist dann wieder ein richtig dicker Happen mit einigen Überraschungen und verrückten Ideen. Besonders auffällig ist hier wieder, wie sparsam und geradezu einsilbig Jordan Rudess seine Sounds einsetzt - was seine Parts aber auch heraushebt und das ganze moderner klingen läßt. Zwischendurch angemerkt, die Produktion von - wieder einmal - Jon und Mike (Portnoy, dr) nimmt sogleich gefangen, sehr organisch und direkt, jeder Musiker bekommt den entsprechenden Platz im Klangspektrum, vor allem das Schlagzeug klingt wunderbar "untechnisch". Natürlich muß ich auch das sehr gelungene Artwork von Ikone Hugh Syme preisen: es gibt zwar nicht mehr die superben 5&8-Spielereien von "Octavarium" aber trotzdem sind sicher einige Hintergründigkeiten versteckt, da bin ich sicher (wahrscheinlich zähle ich dann irgendwann in einem faden Moment die Ameisen;)! "Repentance" ist eine weitere Fortführung des Themas, dem Mike's einstige Alkohol-Problematik zugrunde liegt. Unmißverständlich bereits beim Beginn, denn dieser basiert auf dem Intro zum fast vier Jahre alten "This Dying Soul" welches ja auch schon Teil des über mehrere Alben verteilten Gesamtkonzeptes war. Eine sehr relaxte, harmonische Nummer, mit melancholischen Untertönen und ganz ohne Break-Berserkertum! Als Gäste bei den gesprochenen Parts tauchen hier u.a. Persönlichkeiten wie Mikael Akerfeldt (OPETH), Daniel Gildenlöw (PAIN OF SALVATION), Neal Morse und Steve Vai auf. Track Nummer sechs läßt spontan fragen "Hä? Sind das MUSE mit James LaBrie?" Dieser Einfluß läßt sich bei "Prophets Of War" nicht leugnen: chorartige Einschübe und die typischen Synthie-Arpeggios stellen die Briten als gerngehörte Gäste in den Playern der New Yorker dar. Ich find's gelungen, die Nummer ist zwar nicht der Überhammer, aber doch schön druckvoll und "breitwandsoundmäßig". Schlußendlich noch auf in eine weitere Viertelstunde hoher Musizierkunst namens "The Ministry Of Lost Souls". Sehr langsam, behutsam und äußerst melodisch bauen DT den Song auf, könnte fast einer der Schlußtracks auf "Scenes ..." sein. Erst nach sechseinhalb Minuten wird die erste merkliche Veränderung der Dramaturgie eingebracht - und die Burschen holzen schon wieder im Prog-Wald, daß einem Hören und Sehen vergeht (haben ja auch genügend Zeit dafür)! Eine der bandtypischen musikalischen "Endlosschleifen" führt nach James' conclusio dann das Lied noch ins Fade-Out ... immer wieder gut und gern gehört! Was bleibt mir noch zu sagen? Sehr eigenständig und gehaltvoll, das Ganze - wieder eine Scheibe für viele Stunden Musikgenuß! Geniales Chaos mit System eben ... Tracklist: 01. In The Presence Of Enemies - Part I 02. Forsaken 03. Constant Motion 04. The Dark Eternal Night 05. Repentance 06. Prophets Of War 07. The Ministry Of Lost Souls 08. In The Presence Of Enemies - Part II www.dreamtheater.net Mehr von Dream Theater
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