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6.0
Gibt es eine einzige Band auf der Welt, die veröffentlichen kann, was sie will und dabei immer jede Konkurrenz wenn schon nicht wegstecken, zumindest ins Schwitzen bringen kann, dann handelt es sich ohne Frage um Dream Theater. Selbst die vermeintlich "schwächeren" Alben sind immer noch Zeugnisse großer Musikkunst; manchmal mehr Handwerks-als Kreativkunst, aber sei's drum. Das einzige echte Argument, die Arbeit des Quintetts abzulehnen, ist das berühmte "Ich steh' nicht so auf Gefrickel", nach dem sich betreffende Kenner verschmitzten Lächelns auf die eigene Schulter klopfen und das abgeranzte End-80er-Demo ihrer liebsten Rumpel-und-Müllband als Belohnung einlegen.
Für die meisten Fans der meisten Gruppen dieser Welt kommt dann leider früher oder später ein Punkt, an dem man sich fragt, ob man mit dem, was geliefert wird, noch einverstanden ist. Rechnet man die Fans weg, die nach dem Majesty-Demo und "When Dream And Day Unite" nichts mehr mit den Prog-Größen anfangen konnten, gab es diesen Punkt bei Dream Theater im kollektiven Gedächtnis noch nicht. Bis jetzt. 2016 wird es arg kritisch. Dabei war selten ein Album so vielversprechend, wie "The Astonishing". 34 Songs wurden da angekündigt, ebenso weit über 2 Stunden Musik, Orchester inklusive. Dahinter ein ausgeklügeltes, facettenreiches Konzept; darauf das coole Oblivion-artige futuristische Cover. Was sich dann dahinter verbergen würde, hätte wohl kaum jemand geahnt. Seichte, dennoch qualitativ hochwertige Songs gab es bei der Band um die Mensch gewordene Gitarren-Mathematik John Petrucci freilich immer; ebenso Parts, die eine emotionale Einbindung mit der kognitiven zu fusionieren versuchten und es nicht selten schafften. "Scenes From A Memory" kommt einem da in's Gedächtnis. Die Devise lautet diesmal aber, Leser mit schwachem Herz sollten jetzt innehalten, Trans Siberian Theater. Es ist eine lupenreine Rock-Oper geworden, die ganz vereinzelt um Metal-Parts und noch vereinzelter um progressive Elemente angereichert wird. Diese sehr eigene Methode, Melodien nicht zu wiederholen, sondern direkt um neue zu ersetzen (ein sehr gewichtiger Faktor dafür, dass Teilzeithörer keinen Zugang zu der Band finden), ist fast komplett verschollen; alles wird ausladender und, das ist womöglich noch viel seltsamer, die Trennschärfe der einzelnen Kompositionen tendiert gegen Null. Sicher, bei 34 Liedern kann es passieren, dass sich 2, 3 mal ähnlich anhören, aber man wird das Gefühl nicht los, dass Dream Theater uns eigentlich einen einzelnen Longtrack servieren wollten und dann entschieden, dass sich das weniger gut vermarkten ließe. Nun wäre das eine rüde Unterstellung, zumal diese Band nicht wirklich am Rande der Existenz lebt. Aber was unterscheidet "Dystopian Overture" wirklich von "A Better Life" oder ""Lord Nafaryus"; vom Tempo mal abgesehen? Es ist wirklich dieser Nightwish-artige Klangteppich, der das Fundament jener Stücke bildet und ihnen dadurch schon die Möglichkeit auf Andersartigkeit einschränkt. Gerade wenn bei Letztgenanntem die käsigen Einwürfe des Tastenmeisters Jordan Rudess kommen, fühlt man sich doch sehr an die Finnen erinnert. Wahlweise auch an Rhapsody, in härteren Momenten (vielsagend, oder?). Im Sinne des Arrangements sprechen wir bei "The Astonishing" von einem Referenzwerk; die Produktion ist glatt und komplett lückenlos deckend, geht dabei nicht den Weg der Loudness-Wars und lässt wahlweise, je nach Hörer-Involvement, einen Klangteppich entstehen, oder aber zwischen jedem einzelnen Instrument differenzieren. James LaBrie scheint darüber hinaus erstmals nicht eine Begleitung für die Instrumente zu sein, sondern steht, seinem Status als Sänger entsprechend, auch bedingt durch die Art der Kompositionen, im Mittelpunkt des Gespielten. Die Sci-Fi-Story kommt ganz ohne Gastsänger aus; ein absolut mutiger Schritt, der allerdings auch bewirkt, dass man nicht wirklich mitgenommen wird. Wenn James LaBrie gleichzeitig Pro-und Antagonisten singt, dazu diverse Randfiguren, etwa mehrere(!) Frauen und Kind(er), gibt es nun mal keine große Identifikation mit Selbigen; man würde sie ohne Booklet wahrscheinlich nicht einmal orten können. Wie so oft liegt der Fokus beim Traumtheater also auf der Musik. Nach mehrfachem Hören gibt es dann auch Lieder, die sich in der Masse bemerkbar machen. "A New Beginning" ist hyperfröhlicher Wahnsinn, der sich nicht zwischen AOR und Metal entscheiden kann, "The Path That Divides" fährt einen schönen Spannungsbogen, "Losing Faythe" ist eine Ballade ganz in der Tradition von "Wait For Sleep" oder "Wither" und der leicht angejazzte Titeltrack, der sich der Lounge-Musik verpflichtet fühlt, ist ebenfalls nicht uninteressant. Und wirklich schlecht ist ohnehin nicht eine Minute auf diesem Album, vorausgesetzt, man hat keine Allergie gegen teils arg kitschige Passagen. Auffallend ist die Abstinenz der besonders langen Lieder; das höchste der Gefühle in diesem Zusammenhang ist auf unter 8 Minuten terminiert. "The Astonishing" bietet damit das im Schnitt kürzeste Liedgut aller Dream Theater-Veröffentlichungen und fühlt sich trotzdem ewig lang an. Erlaubte es die naturelle Ignoranz eines Kritikers, hätte man der Truppe wahrscheinlich zu einer Komprimierung auf eine EP geraten. Aber ob es "The Astonishing" geholfen hätte, die Hälfte der Musik weg zu kürzen? Ganz sicher nicht; der Inhalt und die Reaktion wären gleich geblieben, sodass Fans des Albums sich einfach 'mal über viel, viel Musik freuen können, während eine große Menge Alteingesessener sich wundert, wie eine so große Menge an Tönen so unauffällig an einem vorbeifließen kann. Das Album ist Dream Theater's tatsächlich würdig, so groß und ausladend, wie es geworden ist. Leider ist es letztlich, zumindest auf die ersten dutzend Hörgänge, zu viel des gleichen, seichten Opern Metals, nein, Rocks, gar Pops, der einem die Albumlänge letzten Endes zu einer Herausforderung macht. Vor dem Kauf unbedingt reinhören! Trackliste
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Reviews
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