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9.0
Dream Theater waren in den frühen und mittleren Neunzigern so etwas wie der heilige Gral, eine Band, die für neue Superlativen Pate stand, und für die man gerne zusammengerechnet ein paar tausend Kilometer mit seinem Vehikel zurück gelegt hat, um LaBrie, Petrucci und Co. live on Stage bestaunen zu dürfen. In meinem engen Umfeld scheint das Interesse inzwischen komplett am Tiefpunkt zu sein, so gerne man sich an diese coole Zeit erinnert, als der Prog Metal dank vieler, neuer Kapellen vorwiegend aus den USA und Deutschland eine Ausnahmestellung genoss. Die unbändige Euphorie von einst ist dem Schreiber dieser Zeilen ebenso leicht abhanden gekommen, trotzdem ist ein gewisses Kribbeln vor einem Dream Theater Release nach wie vor spürbar, auch deshalb, weil der 2019er Silberling "Distance Over Time" einen deutlichen Aufwärtstrend erkennen ließ.
Man mag dem New Yorker Quintett durchaus vorwerfen, im Laufe der letzten zwanzig Jahre auf die - noch dazu als Prog-Band! - Stelle getreten zu sein, ja und selbst wenn, passierte dies naturgemäß auf einem schwindelerregend hohen Niveau. Neben den perfektionistischen Ansprüchen beschleicht einen jedoch auch das Gefühl, dass die Gentlemen von der Ostküsten Metropole mittlerweile durch eine Art Gelassenheit gereift sind. Natürlich: Auf "A View From The Top Of The World" sind einmal mehr all jene vertrauten Attribute am Bankett, wofür man diese Kapelle seinerzeit lieben lernte. Es kommt eigentlich nur drauf an, in welcher Relation diese Elemente stehen und im Studio fusioniert wurden; bzw. ob nicht vielleicht doch eine Frischzellenkur den gewissen Extrapunkt einbringt. Während mich das Starensemble nach dem sehr metallischen "Train Of Thought" aufgrund farbloser und unnötig langgezogener Songs (speziell auf "Octavarium" und "Systematic Chaos") des Öfteren kalt zurück ließ, ist auf diesem Werk der goldene Spagat zwischen Geradlinigkeit und Verspieltheit wieder einmal als absolute Krönung zu bezeichnen. Der Aufbau, der Verlauf, die Breaks, die Refrains – jedes Arrangement hat seinen punktgenauen Platz; und als wäre dies nicht schon geil genug, strahlt "A View from The Top Of The World" vor Brisanz und Dynamik, wie man es in diesem stringenten Ausmaß ewig nimmer vernehmen durfte. Weitere Auffälligkeit: Sänger James LaBrie lehnt sich stimmlich nicht mehr zu sehr aus dem Fenster, sondern bleibt größtenteils bei den mittleren Sequenzen, was dem Material zusätzlich Geschmeidigkeit impliziert. Die Instrumental-Abteilung wirkt zudem wie eine eng zusammen geschweißte Mannschaft, bei der jeder mal sein Solo oder die Vorarbeit dazu in den Ring wirft, was speziell beim simpel-rockig startenden "Sleeping Giant" der Fall ist – sehr ausbalanciert, würde ich meinen. Auch die für Dream Theater-Verhältnisse straighten "The Alien" und "Invisible Monster" sowie das weichere, sehr an Rush angelehnte "Transcending Time" sind vertonte Argumente, abgekehrte Fans des Traumtheaters zurück zu lotsen, vor allen Dingen deshalb, weil das Spannungsbarometer stets Richtung Siedepunkt tendiert. Na gut. Bei "Awaken The Master" und beim zwanzigminütigen Titletrack packt man dann endgültig den fetten Frickel-Prügel nach dem Motto: „Leute, wir können es immer noch gut und locker auf die Spitze treiben“ aus, was aufgrund der hinteren Platzierung auch voll in Ordnung geht! Saitenhexer John Pertrucci hat wie gewohnt ein Arsenal an knallenden Riffs sowie brillante Soli am Start, die Basslinien von Mr. Myung sind sowieso von einem anderen Stern, Mike Mangini ist ohne Diskussion ein würdiger Portnoy-Nachfolger, quasi eine Mensch gewordene Atomuhr, die Virtuosität von Tastenmagier Jordan Rudess muss man als erquickend bezeichnen, und die Gesangsleistung von LaBrie ist immer noch bemerkenswert stark. Das lodernde Feuer brennt so intensiv wie schon lange nicht mehr und auch die für Beinahe-Ottonormalverbraucher songdienliche Komplexität der sieben Songs ist neben den modernen Farbtupfern ein entscheidender Pluspunkt von "A View From The Top Of The World", also Gründe, weshalb dieses junge Meisterwerk dieser Altherren es mit Leichtigkeit in etliche Top-Ten-Listen schaffen wird. Trackliste
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Reviews
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