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10.0
Als Kenn Nardi nach langer Funkstille vor sieben Jahren sein episches Doppelalbum "Dancing With The Past" veröffentlichte, wurde man von der Energie und Vielfalt dieses Meisterwerks schier übermannt. Bei "Trauma" ist man also darauf vorbereitet, dass das Mastermind von Anacrusis auch solo eine Urgewalt darstellt.
Diesmal ist die Spielzeit zwar etwas kürzer ausgefallen, aber mit 109 Minuten ist "Trauma" trotzdem wieder sehr üppig ausgefallen. Inkludiert sind hier Remakes der Anacrusis-Klassiker ‚Release‘ und ‚Brotherhood‘ von "Screams And Whispers", sowie ‚What You Became‘ und ‚Far Too Long‘ von "Manic Impressions". Allesamt kommen noch opulenter daher als die Originale, vor allem ‚What You Became‘ ist in seinem orchestralen Klangkleid anfangs kaum wiederzuerkennen. Überhaupt experimentiert Kenn auf diesem Album noch stärker mit Samples als sonst, was vielleicht nicht jedem gefällt, mir aber schon. Dabei geht`s mit ‚Clarion Call‘ und ‚Masquerade‘ ziemlich flott los. "Trauma" ist insgesamt aggressiver als "Dancing" ausgefallen, wobei es der Meister der Schreie natürlich auch schafft einer Halbballade wie ‚Abscence Of Presence‘ mit ein paar seiner typischen Screams den Charakter einer Hasstirade zu verleihen. Bei Nardi liegen die Stimmungen seit jeher nah beieinander. Wo Liebe ist, da ist auch Hass und umgekehrt. Genau das macht die Faszination seiner Kompositionen aus. Genauso gelingt es ihm mal wieder diese prickelnden Wave-Vibes a la New Model Army so zu integrieren, dass stets eine bedrohliche Atmosphäre von seinen Songs auszugehen scheint. Man fühlt sich magisch angezogen und will gleichzeitig vor dem Grauen entfliehen (‚Light up the shadows‘!). Was Kenn mit seiner Stimme nicht erreicht, schafft er mühelos mit seinen Kreissägen-Riffs und seinen Schlagbohrer-Bassläufen. Etwaige Soundlücken werden mit effektivem Keyboard-Einsatz geschlossen, bestes Beispiel dafür ‚The Time For Tears (Dry My Eyes)‘. ‚A Reckoning‘ wäre sicher ein Dancefloor-Hit, wenn es noch Zappelbuden gäbe bzw. wenn diese nicht wegen Corona geschlossen wären. ‚Shed My Skin‘ ist ein eher straighter Thrasher, der auch auf "Suffering Hour" stehen könnte. ‚Quiet Wars‘ ist eine von drei Gänsehaut-Halbballaden. Jeder Song ist ein Mikrokosmos für sich, in der Regel getragen von einer Hookline, die dir den ganzen Tag im Kopf rumspukt (‚Grace Is Greater‘). Mit ‚The Orphan‘ versucht sich Mister Nardi erstmals an einem elfminütigen Longtrack. Ein Experiment, das selbstredend glückt und seine Bandbreite um eine weitere Facette erweitert. ‚Watching Through Darkness‘ beendet das Album für Nardi`sche Verhältnisse recht harmonisch, bevor die vier o.g. Anacrusis-Kracher dem geneigten Hörer nochmals alles abverlangen. Leider ist "Trauma" zunächst nur digital erhältlich (Kenn Nardi Music & Artists Bandcamp), aber eine physische Form ist sicher nur eine Frage der Zeit. Bleibt nur zu hoffen, dass das Ding dann nicht wie beim letzten Mal wieder nur als teurer US-Import hierzulande erhältlich ist. Aber auch das wäre dieses Album selbstverständlich wert, denn die Höchstpunktzahl ist hier das Mindeste. Trackliste
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