Man kann nur erahnen, wie viele Perlen im gewaltigen Schwung der '80er-Veröffentlichungsflut, während der unzählige Bands nach den Sternen griffen, verschollen gingen, oder aber auch, wie im Falle von
Vice, nie wirklich das Licht der Welt erblickt haben. Nicht unwahrscheinlich, dass der gebildete Sammler schon Bootlegs der Band (besonders vom auf gefühlt ein Stück limitierten ersten Album) auf dem gut bestückten Markt erblicken konnte; stets und variantenreich mit leicht bekleideten Vorzeige-Mädeln auf dem Cover und noch besserer Musik auf dem schwarzen Teller.
"Demon Doll Records" machen sich nun daran, der Nachwelt dieses Kleinod neu aufzubereiten und splitten das vorhandene Songmaterial in die Alben
"Hot... Just Looking At You" und
"Na Na Naughty".
Was wie die Resterampe der Danger Danger-Archive klingt, entpuppt sich schnell als völlig hochwertige Sammlung melodischen Rocks bis Hair Metals. Klar, dass so etwas auch eine optische Repräsentanz braucht und dazu greift man noch tiefer in die Augenweiden-Kiste, als es sich je ein Bootlegger getraut hätte. Das Blondchen allein wird nicht wenige zu Blindkäufen veranlassen!
Die negative Seite zuerst: Der Sound ist suboptimal, wie es sich für quasi-Demo-Tracks eben gehört. Sicher wurde bei der Nachbearbeitung Vieles gut zurechtgerückt, aber es zeigen sich doch mehr Ecken und Kanten, als es dieser Art Musik gut tut. Andererseits gibt es bestimmt auch unter AOR-und Melodic-Freunden Leute, die eine ruppige Underground-Produktion schätzen. Ein einzigartigeres Hörgefühl ist damit auf jeden Fall gesichert! Nun zu den guten Nachrichten: Die beiden Alben wirken wie die Best-Ofs gestandener Bands; ein reinstes
Hitfeuerwerk!
Wo man hinhört, findet man Ohrwürmer, interessante Kompositionen und selbst die Reißbrett-Radiostücke von
Vice sind verspielter, als man es erwarten dürfte. Unter Garantie wäre die Band, die 1987 ganz gut auf Tour war, wie eine Rakete durchgestartet, wenn sie daraus ein reguläres Album gezimmert hätte. Der elegante, vom Schlagzeug getriebene Opener "Stranded In The Shadows" ist eine ebenso gute Visitenkarte, wie der
Whitesnake-Bruder "All I Ever Wanted", oder das
Elvis-Bingo "Heartbreak Hotel". Die Titeltracks der beiden Veröffentlichungen bilden ein melodisches Coolness-Duett, das Kennern auf der Zunge zergehen wird.
Einen guten Teil der Formel kann man auf Sänger Billy Ian zurückführen, dessen sehr eigenes Organ definitiv Wiedererkennungswert hat und gerade in lässigeren Midtempo-Tracks das volle Potential ausschöpft.
Der ganz große (Wäre-gewesen-)Hit ist naturgemäß auch zu finden: "Feeling Lonely", eine unverkennbare Halbballade, die sich im Refrain zu einem Chorus-Overload mit Ohrwurm-Garantie mausert, schreit zu jeder Sekunde: "millionenfach zu verkaufende Single-Auskopplung!". Diese Bridge verursacht Gänsehaut! Dazu gibt es den etwas schwächeren Bruder "Feeling Lonely No More"; gleicher Track, anderer Refrain.
Die Aufmachung von
"Hot... Just Looking At You" und "Na Na Naughty" lässt ebenso wenig zu wünschen übrig; dicke Booklets voller Fotos, Geschichten, Anekdoten, Texten, etc. Das Quintett um Gitarrist Jim Michaels lässt hier keinerlei Wünsche offen.
Dass Vice dieser Jahre den verdienten Ruhm einfahren, ist genauso unwahrscheinlich, wie zur Zeit der Veröffentlichung der ersten LP auf Kleinstauflage, aber Eines ist klar: Im AOR-Melodic-Hair-Olymp sind sie eine nicht zu überlesende Fußnote der Geschichte!