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8.0
Kürzlich stolperte ich über einen Artikel, in dem ein gar weitsichtiger Journalist zu der überraschenden Erkenntnis kam, dass die Metal-Fans die neuen Konservativen seien, weil deren Musik heute immer noch so klingt wie vor 35 Jahren. Schützenhilfe dafür gab es immerhin vom deutschen Metal-Papst Kühnemund, der in dem Artikel – es war glaub ich in der TAZ – seinen Senf hinzugab. Aha. Aber seien wir uns ehrlich: Konservativer als Metal geht ja wirklich kaum, eigentlich müsste man gar schon von reaktionärer Musik reden. Denn tatsächlich bewegt sich hier seit bald 20 Jahren (fast) nichts mehr weiter. Der alles beherrschende Trend ist heute Retro/True Metal, wo man tunlichst seine Finger von Innovationen lässt und die große Kunst nicht das Erkunden neuer Welten ist, sondern man möglichst originalgetreu die Riffs der großen Vorbilder variiert und einer Zeit huldigt, in der Vokuhilas, Stretch-Jeans und Fönfrisur das Maß der Dinge waren. Hinzu kommen die immer noch gleichen peinlichen Macho-Posen, sowohl vor als auch auf der Bühne, und eine Szene, die als gesamtes weißer und traditionsverhafteter kaum sein könnte. Überhaupt ist Metal ja immer noch eine Art von Burschenschaft, wo hauptsächlich Männer Männer adorieren und Frauen höchstens als optischer Aufputz (auch auf der Bühne) dienen oder den mit Götzenverehrung ausgelasteten Herren der Schöpfung ein frisches Bier hinterher tragen dürfen. Obwohl all das beinahe schon ans Homoerotische grenzt, hat man(n) im Metal enorme Probleme, beispielsweise einem (selbsternannten) Metal-God Rob Halford die verdiente Hochachtung entgegenzubringen, denn gerade der hat sich ja als schwul geoutet und „Schwänze lutschen ist verdammt nochmal immer noch der Job weiblicher Groupies". Aha. Bewusste Selbstverleugnung? Eine gesamte Szene mit galoppierender Schizophrenie? Oder einfach die Angst des Spießbürgers vor dem vermeintlich Andersartigen? Damit werden sich angehende Psychologen und Soziologen in den kommenden Jahren in unzähligen wissenschaftlichen Arbeiten auseinandersetzen dürfen.
Diesen musikalischen und geisteshaltungsmäßgen Stillstand gab es jedoch nicht immer, denn für kurze Zeit, Ende 80er/Anfang 90er, war Metal alles andere als konservativ, sondern spannend und dank verschiedenster Crossover-Bewegungen stetig sich selbst neu erfindend und erweiternd. Dabei sind es gerade die Entwicklungen dieser Zeit, die den neuen Metal-Konservativen besonders verhasst sind – Grunge, NuMetal, HipHop-Einflüsse, Jazz-/Prog-Metal – Subgenres, die bei den Truesten der Truen demonstrativ Brechreiz erwecken und dann gerne lapidar als „Neger-Metal“ abgetan werden. Heutzutage ist Crossover im Metal, wenn man mit mittelalterlichen Instrumenten abrockt, somit sich also nicht fort-, sondern rückwärts bewegt. Ja geht’s eigentlich noch? Da kommt dieser Journalist echt erst jetzt drauf, dass Metal konservativ ist? Aber ja, der Professor schweift wieder mal ab… ...und die Frage, was all das nun mit "Nucleus", der neuen Witchcraft zu tun haben soll, ist natürlich vollkommen berechtigt. Andererseits aber auch nicht so wirklich, denn bekanntlich gehören der Schwede Magnus Pelander und seine ständig rotierende Austauschmannschaft zur Speerspitze der Vintage/Retro-Metal-Bewegung und leben nun auch schon seit knapp 15 Jahren den Traum von der Black Sabbath- und Pentagram-Coverband mit eigenen Riffs. Insofern also eine Band, deren prototypischer 70er-Hard Rock stellvertretend für den Stillstand und die Rückbesinnung auf vergangene, (vermeintlich) bessere Zeiten in der Musik stehen könnte. Im Vergleich zu anderen 70er-Epigonen sind die Outputs von Herrn Pelander jedoch immer ziemlich fein geraten, denn es gelingt ihm nämlich nicht nur, die Zeit vor der großen Metal-Revolution der 80er songschreiberisch wiederauferstehen zu lassen, sondern auch produktions- und soundtechnisch darf man sich hier wieder Blumen ins Haar und stecken und Hosen mit Schlag tragen. Dementsprechend ist auch Magnus Pelander meilenweit entfernt vom Bild des Testosteron-schwitzenden Metal-Machos, sondern verweigert sich geradezu dem traditionellen Metal-Zirkus und wirkt live wie ein schüchterner, Teenager mit Speckschwarte um den Bauch. Dass aber Witchcraft zumindest in ihrem eng abgesteckten Revier auch für Überraschungen gut sind, zeigt sich schon nach den ersten Takten des Openers "Maelstrom". War das Vorgängeralbum "Legend" überraschend kommerziell und flott ausgerichtet, haben wir es auf "Nucleaus" mit einer Rückkehr zum Doom zu tun, und der Opener "Maelstrom" walzt auch gandenlos in bester Sabbath-Manier alles platt. In der Folge zelebriert Pelander mit seiner neuen Band eine großartige Doom-Messe voller erhabener Melodien und einer Atmosphäre, wie sie die Großmeister selbst auch schon seit Jahrzehnten nicht mehr zustande brachten. Pelander ist sich auch nicht zu schade, diese Monotonie wie im Titeltrack "Nucleus" auf 14 Minuten auszudehnen und hier mit subtiler Instrumentierung und Chören ein einziges Riff so einzusetzen, dass es doch nicht zum Wegpennen animiert. Hier zeigt sich auch die Virtuosität Witchcrafts, indem nicht nur Sabbath-Riffs runtergenudelt werden, sondern man zumindest in einem engen Rahmen ein bisschen auch dem Prog-Rock (der 70er) huldigt und dies dann in eine leidlich zugekiffte Psychedelia-Atmosphäre taucht. Auch wenn man wie der Professor mit den neuen Konservativen nicht in einen (Hexen)topf geworfen werden will, darf man also Witchcraft gut finden und sich dazu zwischendurch mal so richtig breit in Opas 70er-Ohrensessel zurücksinken lassen. Jedenfalls gibt es für Nucleus 8 von 10 morschen Hexenbesen, mit denen Mr Pelander dann in SloMo zur nächsten Scheibe davongleiten darf... eile mit Weile. Trackliste
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Reviews
12.10.2012: Legend (Review)News
04.08.2012: Erster Song online24.07.2012: Coverartwork und Tracklist zu "Legend" |
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