Die Redaktion horcht auf, geheime Treffen werden einberufen, Auftragskiller und Kultisten engagiert, Exorzisten in Erwägung gezogen und der ein oder andere Kollege denkt sicher selber darüber nach, ob es die paar Jahre im Gefängnis nicht wert wären, jetzt zur Waffe zu greifen.
Was ist passiert? Nun, Herr Thunderstryker hat sich die neue
Heino angehört und plant, keinen Verriss zu schreiben. Ob er wenigstens die Worte "Geldmacherei" und "aufgesetzt" tippen wird? Auch das nicht. Aber... nach der Rezension wird er sie doch wenigstens verkaufen? Nein.
"Schwarz blüht der Enzian" macht Spaß. Mehr als die meisten für wahrhaftig empfundenen Metal-Alben des Jahres.
Sicher, es ist dem Meister mit der unglaublichen Live-Authorität und der Volksmusik-Vergangenheit schwer zu glauben, dass es ihm ein Herzensanliegen ist, Rock unter die Hörerschaft zu bringen, aber tatsächlich versprühte selten ein Album so eine
"Ich scheiß' auf meine Hater"-Atmosphäre wie dieses. Über Jahrzehnte war
Heino Gegenstand von Witzen und Parodien, mit "Mit freundlichen Grüßen" schoss er zurück und auf der folgenden Tour war ihm anzumerken, dass er an der Interpretation der gecoverten Lieder große Freude hatte. Dass er weiter nachlegt, ist ihm also nicht zu verübeln und insgeheim hat sich jeder mal gewünscht, die passende Musik für einen Metalschlager-Karaokeabend zu besitzen und dabei nicht auf peinliche neue
Manowar-Alben oder das nervtötende
"Breaking the Law" zurückzugreifen. Auf dem aktuellen Werk präsentiert das deutsche Urgestein also seine
Klassiker im Zeichen schwerer Gitarren.
Beim ersten Hören des blauen Enzians (die Singleauskopplung) im Rock-, ja fast schon
Metalgewand staunte man nicht schlecht; mit dieser Härte war nicht zu rechnen.
Rammstein-artig treiben die Gitarren das von sanften Chören eingeleitete Lied voran und selbst nette Soli gibt es zu bestaunen. Nein, dieses Projekt wurde nicht halbherzig in Angriff genommen. Der Druck des ersten richtigen Stückes nach dem witzelnden Intro wird über das Album vielleicht noch ein-zwei Mal erreicht, aber auch die softeren Tracks lassen nichts vom Rock-Spirit missen. An mancher Stelle sprechen wir eher von
AOR (die gelungene Neuinterpretation von "Hoch auf dem gelben Wagen" ist ein Musterbeispiel), an anderer von
Melodic Rock ("Die schwarze Barbara" ist der Ohrwurm, an dem viele Bands im Frontiers-Lager seit Jahren schreiben).
Witze, Zitate, Fremdanleihen und Augenzwinkern gibt es an jeder Ecke; am deutlichsten wird es bei "Wir lagen vor Madagaskar", wenn das Riff von
Rammstein's "Links 2,3,4" gnadenlos gekapert wird und sich der Text auch noch großartig einfügt. Völliges Highlight. Und wer "Komm in meinen Wig Wam" nicht schon zur Hälfte des Liedes mitsingt, ob freiwillig oder nicht, mag keine Musik. Ein weiteres der vielen großen Highlights ist, natürlich, die schwarzbraune Haselnuss. Schade, dass das Gejodel nicht vom Meister übernommen wird, aber ganz gleich; zu so einem harten Riffing ist das Lied eine einzige Feier. Noch beim Schreiben dieser Zeilen spielt es der Kopf in Dauerschleife.
Die Produktion ist einer Scheibe eines solch großen Namens angemessen und das Artwork und Booklet sind voller Metal-Madness; letzteres im wahrstmöglichen Sinn des Wortes. Wie bewertet man
"Schwarz blüht der Enzian" nun? Eine faire Punktzahl zu finden, ist kaum möglich. Aber ich sage es so: Wer Heino und seine alte wie neue Musik nicht mag, braucht sich keine Gedanken zu machen, wer Spaß an einem kultigen Gesamtpaket haben will, darf sich 9 Punkte und eine ausdrückliche Kaufempfehlung vorstellen.
À propos Kauf: Man wird sich selten so rebellisch fühlen wie beim Kauf dieses Albums.