Ray Wilson ist schon eine tragische Gestalt. Ein Tim Owens der sanfteren Klänge wohl. Seine Arbeit bei
Stiltskin ist weitestgehend vergessen, während sein kurzes, erfolgloses Intermezzo bei
Genesis völlig verkannt wird.
"Calling All Stations" ist nämlich nach wie vor ein grandioses Popalbum, das mit
"Not About Us",
"The Dividing Line" und einigen Weiteren richtig schöne Hits am Start hat. Noch dazu ist Wilson selber der beste Sänger, den diese Truppe jemals an Bord hatte und das heißt bei den Konkurrenten Peter Gabriel und Phil Collins einiges. Nun dauert die Nachbereitung dieser Karrierephase für Wilson schon seit weit über einem Jahrzehnt an und man könnte das glatt als Trauerspiel bezeichnen, wenn dabei nicht so tolle Livealben geliefert würden.
Tatsächlich ist es so, dass Ray Wilsons Stimme live noch besser zur Geltung kommt als auf Platte und das ist der ganz große Gewinn von
"Genesis Vs. Stiltskin: 20 Years And More". Lieder wie
"American Beauty" wirken nur mit diesem Mann am Mikro. Aufgenommen wurde die Chose in Warschau und wieder hat das Goldkehlchen neben seiner Stammband orchestrale Begleitung im Gepäck. Sonderlich große Änderungen gab es dafür nicht, variiert wird auf den Livescheiben nur zwischen einem Streicherquartett-und Quintett.
"Another Day" ist dabei ein fulminanter Einstieg, ein Wilson-Klassiker, den man kennen sollte. Es wurden schon diverse Ausführungen dieses Liedes aufgefahren und in der Klassik-meets-Rock-Version hat man vielleicht die große Erfolgsformel dafür gefunden.
Das Niveau liegt, natürlich, durchgehend hoch, aber, wie schon bei seinen beiden
Genesis-Vorsängern in deren Solokarrieren, ist das Material eher wenig rockig. Hier wird abwechselnd auf große, erdrückende, wie auch auf eingängige Melodien gepocht und diesen Luxus darf man sich mit einer solchen Stimmgewalt auch herausnehmen. Der lange akustische Teil in der Mitte des Sets wird mit
"The Airport Song" beendet und man hört wieder Stromgitarren, die sich im gut gemischten Livesound zwischen den anderen Instrumenten wohlfühlen. Wohl zum Alibi folgen darauf zwei neuere Wilson-Solo-Stücke, integrieren sich aber sehr gut in die Liste der vielen, vielen Klassiker.
Das K-Wort darf man im Zusammenhang mit dieser Liveaufnahme ohne Frage inflationär verwenden, oder gibt es einen anderen Weg, Liedgut wie
"Constantly Reminded" und das unfassbare, beste Neu-
Genesis Stück
"Mama" zu beschreiben? Gerade Letzteres wäre für die meisten anderen Sänger ein musikalischer Genickbruch, aber
Ray Wilson kommt seiner Aufgabe perfekt nach. Beschlossen wird das Set mit
"Calling All Stations", das live noch intensiver wirkt als auf der 97er-Platte, und dem unausweichlichen
"Congo", dem größten Hit der Wilson-Karriere. Interessante Anordnung, da das Liveset zuvor viele Jahre lang mit dem afrikanisch angehauchten Song (auch hier orientierte man sich an Peter Gabriel und seinem WOMAD-Projekt) begonnen wurde.
Da auch die Bildqualität als auch der Sound den heutigen Standarts entsprechen, gibt es für Fans des Künstlers keine Ausrede,
"Genesis Vs. Stiltskin: 20 Years And More" nicht zu kaufen.
"Value For Money" wurde bei diesem Herren schon immer groß geschrieben. Musikalisch Aufgeschlossene werden mit diesem sehr ausgewogenen Set aus Pop, Rock, Klassik, Chanson und elektronischer Musik ebenso wunderbar bedient. Große Klasse; hoffentlich kommt demnächst der längst überfällige Durchbruch der Soloalben!