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9.0
Wer sich als echter Europe-Fan deklariert, der muss bereit sein, mit der ständigen stilistischen Evolution dieser Band mitzuwachsen, sich neuen kompositorischen Herangehensweisen zu öffnen, seinen Musikgeschmack nicht in festgefahrenen Mustern einzusperren und verdammt nochmal nicht exakt 26 Jahre später noch immer auf ein zweites "The Final Countdown" zu warten.
Dass die unbestrittene Nummer 1 der europäischen Hardrock-Szene nach ihrer Reunion im Herbst 2003 musikalisch nicht auf der 80ies Nostalgiewelle durchs neue Millenium surfen würde, machten die schwedischen Superstars von Anfang an zur Bedingung. Dass Europe in den bisher folgenden neun Jahren seit dieser weisen Entscheidung mit jedem Studioalbum dermaßen drastische Wandlungen vollführen würden, ist enorm riskant und mutig, aber zugleich auch in hohem Maße erfrischend. Und schließlich, dass die Herren aus Upplands-Väsby, einem Vorort von Stockholm, während dieses Prozesses nicht ein einziges Mal sprichwörtlich ins Klo gegriffen haben, sondern immer wieder aufs Neue hervorragende Alben veröffentlicht haben, das zeugt von der Klasse und der Qualität einer selbstbewussten Band, die sich die Abwicklung solcher stilistischen Quantensprünge in einer Art und Weise zutraut, die nicht den kommerziellen Bandtod zur Folge hat, sondern ganz im Gegenteil genau aufgrund dieser Vorgehensweise im Jahre 2012 nicht nur großen Respekt in der Szene genießt, sondern auch erfolgstechnisch wieder ganz oben angekommen ist. Dieser Tage erscheint Studioalbum Nummer 9, das vierte nach der Reunion, mit dem Namen "Bag Of Bones". Und auch dieses Mal legt der geneigte Hörer nicht einfach die Disc in den Player und kann sozusagen auf Knopfdruck von 0 auf 100 enthusiastisch abrocken... nein, auch "Bag Of Bones" ist definitiv kein Easy Listening-Album geworden, sondern bedarf einiger aufmerksamer Durchläufe, um dann jedoch - wie auch schon das mehr als grandiose Vorgängeralbum "Last Look At Eden" (zum Review...) - mächtigst zu zünden. Produziert von Starproduzent Kevin Shirley, der schon Größen wie Aerosmith, The Black Crowes, Iron Maiden, Journey oder auch Mr.Big, um nur einige beim Namen zu nennen, seinen reglertechnischen Midas-Touch zur Verfügung gestellt hat, fällt bei "Bag Of Bones" zu allererst eine für Europe-Verhältnisse ungewohnt dunkle Grundstimmung auf. Was sich auf "Last Look At Eden" bei Songs wie "Gonna Get Ready" oder speziell bei "Catch That Plane" schon zart angedeutet hat, bricht nun auf dem Nachfolgealbum flächendeckend durch... nämlich der absolute und 100%ige Schwenk in die Classic Rock-Ecke britischen Charakters. 70ies-lastig ohne Ende verarbeiten Europe ihre persönlichen musikalischen Wurzeln, die da u.a. Thin Lizzy, UFO, Deep Purple oder auch Led Zeppelin wären, ohne jedoch dabei altbacken zu klingen. Ganz im Gegenteil, klingen doch Tracks wie der herrlich erdige Opener "Riches To Rags", der sich gemein anschleichende und dann umso heftiger zuschlagende Single-Hit "Not Supposed To Sing The Blues" oder auch das dramatische, mit einem coolen Sitar begleiteten Zwischenteil versehene "Firebox" trotz dem Attribut "classic" im "Rock" absolut zeitgemäß und frisch. Der geniale Titelsong "Bag Of Bones" mit seiner balladesken Eröffnung entwickelt sich in der Folge zu einem absoluten Monster-Song, vielleicht sogar zum eigentlichen Highlight des Albums, das ein gewisser Herr Joe Bonamassa mit einem kleinen aber feinen Slide Guitar-Gastspiel noch zusätzlich aufwertet. "My Woman My Friend" entpuppt sich nach einer düsteren pianogetragenen ersten Strophe durch John Norums fast schon Black Sabbath-verdächtigen Riff als das "etwas andere" Liebeslied. Die eher straighten Brecher "Demon Head" und das bereits auf der letzten Tour vorgestellte "Doghouse" können ebenso überzeugen wie die abschließende klassische Quoten- und Radioballade "Bring It All Home". Sänger Joey Tempest ist spätestens jetzt knapp vor seinem 50. Wiegenfeste mit seiner Performance auf "Bag Of Bones" zu den absolut Größten seiner Zunft zu zählen. Mit seiner nach wie vor kraftvollen Stimme weiß der schon seit Jahren in London lebende Edelbarde in jederlei Hinsicht zu überzeugen. Ob nun bei lungenberstenden Kracherhymnen oder sensibel gefühlvoll vorgetragenen ruhigeren Klängen, der Mann drückt jeglichem Songmaterial seinen unverwechselbaren Stempel auf und im Vergleich zu vielen seiner Altersgenossen schwächelt Mr. Tempest auch live in keinster Weise. Über John Norums Qualitäten an der Gitarre brauchen wir an dieser Stelle sowieso kein Wort mehr verlieren. Vielseitig, gefühlvoll, technisch versiert... einfach perfekt. Die vielfach unterschätzte Rhythmusfraktion bestehend aus Drummer Ian Haugland und Tieftöner Jon Leven, der sich mit zunehmenden Alter mehr und mehr in den Songwriting-Prozess der Band einbringt, sorgt für gewaltigen "Bums" und last but not least veredelt Keyboarder Mic Michaeli mit seinen fantastischen Keyboard- und speziell auf "Bag Of Bones" wieder vermehrt hörbaren Hammond-Tupfern das Songmaterial. Fazit: Europe haben mit "Bag Of Bones" erneut riskiert und erneut gewonnen. Wie bereits erwähnt, brilliert dieses Album weniger mit offensichtlichen Hit-Songs bzw. Riffs. Wer aber bereit ist, den Reifeprozess dieser Band mitzugehen und den Songs "Luft zum Atmen" zu geben, den erwartet als Belohnung wiederum ein gewaltiges Stück Musik der fünf sympathischen Schweden, die nun schon seit über 30 Jahren zu den absolut Besten ihres Faches zu zählen sind. Absolute Kaufempfehlung!!! Trackliste
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Reviews
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