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8.0
Unbestritten Fakt ist, dass Saint Vitus wohl tatsächlich, zusammen mit den noch weniger bekannten Pentagram, DIE Urväter des Ultra-Slow-Mo-Metal darstellen. Als Vitus Anfang der 1980er ihren von den frühen Black Sabbath inspirierten, auf einfachsten Songstrukturen und simplen Riffs basierenden Sound erschufen, einen monotonen Zeitlupenbastard des Hardcore-Punk, blieb die Band lange Zeit ein absoluter Geheimtipp und wurde ob ihrer Hippie-Optik höchstens belächelt. Erst mit Hinzunahme von Scott Weinrich, diesem einem Schlangenbeschwörer gleich agierenden Geangsmonolithen mit der großen Extraportion Charisma, gelang der Band der Ausbruch aus dem Umfeld anderer Bands auf dem Punk-Label SST und plötzlich sah man sich nicht mehr nur in unmittelbarer Nachbarschaft zu Black Flag oder Bl'ast!, sondern durfte auch bei diversen Metal-Happenings (um bei der Blumenkind-Diktion zu bleiben) die fettigen Hippiezotteln schütteln. Leider war aber Mitte der 90er schon wieder Schluss mit langsam, obwohl Saint Vitus gerade in Deutschland mit Hilfe des rührigen Berliner Hellhound-Labels durchaus kleinere Erfolge verbuchen durften. Aber die Experimente nach Winos Ausstieg 1991 – zuerst eine Scheibe mit Count Raven-Sänger Christian Linderson und produziert von Don Dokken (!!!), danach die Rückkehr des Ursängers Scott Reagers – bekamen der Band wenig und man strich schließlich die Segel.
Nach einer solch ausgedehnten Pause stellt sich dann klarerweise die Frage, was einen nun auf dem 17 Jahre später entstandene Comebackalbum "Lillie: F-65" erwartet? Kann die quasi (bis auf den 2009 verstorbenen Drummer Armando Acosta) revitalisierte klassische Vitus-Besetzung an vergangene Großtaten wie "Born Too Late" oder "V" anschließen? Oder ist Dave Chandler etwa in der Zwischenzeit auf einem seiner unzähligen Drogentrips so weit vom schweren Metal Richtung Punkgedresche – wie mit seinem Projekt Debris Inc. - abgedriftet, dass er nicht mal mehr seine genialen, jedoch zugegebenermaßen simplen Zeitlupenakkordfolgen zu vollziehen in der Lage ist? Glücklicherweise nicht, denn "Lillie: F-65" kann mit allem aufwarten, was Vitus schon vor über zwei Jahrzehnten zu einer einzigartigen Band machte. Das ist zuerst natürlich Dave Chandlers vollkommen reduzierte Gitarrenarbeit, die sich in den einfach gestrickten, jedoch ungemein intensiven Riffs und den bösartig lärmenden, absolut irren Feedback-Noise-Soli manifestiert. Hier wird Monotonie bis zum Beinahe-Stillstand zelebriert wie kaum anderswo, jeder Song atmet den zugekifften Geist der 70er, und Dave Chandler sieht immer noch wie der ergraute Bastard eines LSD-genährten One-Night-Stands zwischen einem Hells Angel und Janis Joplin aus. Die sechs Songs variieren kaum in der Geschwindigkeit, sondern kriechen wie der hyper-schwere Opener "Let Them Fall" in schleppendem Tempo aus den heimischen Lautsprechern und beweisen einmal mehr, dass Härte und Intensität niemals gleichzusetzen sind mit wildem Gebolze in Lichtgeschwindigkeit. Beinahe ironisch mutet es in diesem Kontext an, dass der herausragendste Song auf "Lillie: F-65" das treibende und so gar nicht in Zeitlupe vorgetragene "Blessed Night" ist, zuvor schon, ganz retro-chic, auf 7" ausgekoppelt. Über all dem schwebt dann die einzigartige, hypnotisch fesselnde Stimme von Scott Weinrich, der rein optisch wohl Lemmy Kilmisters Genpool entsprungen sein müsste. Außerdem wird wieder schmerzhaft klar, dass jede Scheibe mit solchen Vocals tatsächlich nie schlecht sein kann, Mr. Weinrich aber trotz der Vielzahl seiner Projekte sich im Studio durchaus rar macht. Um letztlich die eingangs gestellte Frage nach der Großtat zu beantworten: das erwartete Meisterwerk ist "Lillie: F-65" trotz all der unbestreitbaren Qualitäten leider nicht ganz geworden. Zwar werden alle Doom-Jünger dankbar auf die Knie fallen und die göttliche Zweifaltigkeit Chandler-Wino preisen, doch ein leicht fader Beigeschmack bleibt auf jeden Fall. Denn zum einen ist das neue Werk mit knapp einer halben Stunde Songs einfach unverschämt kurz, zum anderen hat man ständig dieses Gefühl, dass Vitus mit ihrem unbeirrbaren Retro-Sound, dem minimalistischen Ansatz und der Low-Tech-Produktion einfach gar nicht ins 21. Jahrhundert passen. Doch schon 1985 sang Wino, er sei "Born Too Late", und andererseits machte genau dieses schon leicht schrullige Festhalten an der Ästhetik längst vergangener Tage immer schon den Charme von Saint Vitus aus. Wenn eine Band geschlagene 17 Jahre braucht, um einen neuen Longplayer an den Start zu bekommen, interessiert sich entweder niemand mehr dafür oder die Erwartungshaltung ist bei den Fans der ersten Stunde in dermaßen schwindelerregende Höhen aufgestiegen, dass die Band folglich auch mit den besten Intentionen und bestem Songmaterial die geforderte Leistung kaum erbringen kann. In jedem Fall haben die Musiker verloren, und wahrscheinlich wird es sich mit "Lillie: F-65" kaum anders verhalten. Kommt bei Saint Vitus doch noch erschwerend hinzu, dass sie keine Guns'n Roses sind, sondern schon zu ihren besten Zeiten kaum mehr als einem eingeweihten Undergroundpublikum bekannt waren. Der Professor, der die Band erstmals 1989 in einem winzigen Club in Innsbruck vor knapp 30 Zuschauern – mehr hätten gar nicht Platz gefunden – erfahren durfte und dessen Metal-Welt fortan eine andere war, ist jedenfalls überglücklich über das letztlich doch ziemlich gelungene Comeback seiner alten Helden und vergibt an Chandler, Wino, Mark Adams und Neuzugang Henry Vasquez 7 randvoll gefüllte Bongs, damit auch in naher Zukunft noch weitere feinste Slow-Doom-Kaliber das bekannte Universum plattwalzen können. Und um zu verhindern, dass die Vitus'sche Doom-Machine nicht irgendwo zum vollkommenen Stillstand kommt, wirft er noch eine Extraportion Speed dazu. Trackliste
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Reviews
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