Was macht man, wenn alles schon mal gemacht wurde? Wie geht man als Musiker mit dem Bewusstsein um, nichts wirklich Neues mehr erfinden zu können, nur Teil eines sich immer wieder selbst verdauenden Organismus zu sein, mit der Unwissenheit, ob nicht alles Zukünftige schon einmal geschrieben wurde und längst vergessen ist? Die Antwort: Man schmeißt die Gitarre frustiert in die Ecke und wird Vermögensberater - oder man versucht wie
Metallica in ihrem Größenwahn, krampfhaft mit genrefremden Gegensätzlichkeiten zu fusionieren, um etwas gänzlich Neues zu erschaffen. Der künstlerische Ansatz ist ja an sich gar nicht verkehrt, der kaputte Lärm auf
"Lulu" jedoch ein Witz.
Ein so guter, dass er die Band samt ihrem dahinsiechenden Mittäter
Lou Reed neuerlich aufs Radar sämtlicher Metalfans brachte und zu behaupten, die Vorfreude auf diese Art Selbstverarsche halte sich seitdem in Grenzen, wäre stark übertrieben. Und so kann
"Lulu" gar nicht erst enttäuschen. Das Album dürfte die meisten dennoch nicht nur überraschen, sondern viele sogar ratlos zurück lassen.
Zwar scheinen
Reed`s Texte, die sich mit dem deutschen Schriftsteller Frank Wedekind befassen, der 1913 ein Stück über eine Tänzerin namens „Lulu“ schrieb, auf den ersten Blick recht interessant und die zehn Stücke klingen allesamt langsamer, trauriger und düsterer als das, was man von
Metallica bislang kannte, doch was sich auf kompositorischer Ebene ergibt, kommt über weite Strecken einem Offenbarungseid gleich.
Schon das scheußliche Cover verspricht nichts Gutes und passt perfekt zum unerträglichen Inhalt: ein grotesquer Karneval musikalischen Elends, zu viel Drama, zu viel Schauspiel, erzwungen und aufgesetzt. Erst schmerzen die Augen – dann die Ohren! Bei der letzten Platte
"Death Magnetic" tat ich mich schon schwer, einen letzten Rest Wohlwollen unter die gelangweilte Verachtung für diese Band zu mischen, denn irgendwie befanden sich die Millionenseller trotz einiger positiver Anstrengungen weiterhin auf Talfahrt.
Auf diesem Album kommt schließlich zusammen, was nicht zusammen gehört: endlos schleppende, hallende Psycho-Sounds folgen auf monotone Riff-Wände, surreale jammerlappig-zerjaulte Schlaflieder, tristester Lebenserfahrungskitsch und traurig-schwebende Depri-Hymnen schmiegen sich an windschiefe Sprech-Gesänge: Die Pforte zur Herz-Schmerzhölle steht weit offen. Am auffälligsten vielleicht in den erschütternd langweiligen
"Little Dog" und
"Junior Dad", in denen man den ausgeprägten Hang zur Melancholie vollends freien Lauf lässt. Nervenzerrend! Auch
Hetfield singt auf diesem Album, als müsse er ein Kind gebären. Er verwechselt stimmliches Gequetsche mit Authentizität und beeindruckt nur durch eine noch nie dagewesene Einfallslosigkeit.
Akkurate Ansätze (
"Mistress Dread") werden postwendend von
Reed`s verstörendem Todesgestammel und trauerndem Gestotter hingerichtet. Dramatische Sequenzen und pompöse Aushilfs-Arrangements ohne Struktur – allzu oft ist dieses musikalische Nägelkauen von beliebig übereinander gelegten Tonspuren zweier unbekannter Größen nicht zu unterscheiden. Das holprige Vier-Mann-Orchester brodelt postapokalyptisch, während
Lou Reed`s apathische Spoken Word Performance bisweilen für ein skurriles Ersterlebnis sorgt. Die Symbiose aus emotionsloser Kühle und getragenem Pathos gelingt in den zehn Stücken nicht einmal vereinzelt. So einen Mist haben uns
Manowar und
Nightwish echt nie angetan.
Bleibt noch zu sagen: Ungeachtet vieler ungewohnt ruhiger Passagen ist
"Lulu" dennoch vom anbiedernden Mainstream meilenweit entfernt, entzieht sich dabei sämtlicher Kategorien und ist ein Stück Musik-Anarchie pur:
Metallica machen, was sie wollen, wie sie es wollen und so lange sie es wollen. Jede andere Instanz ist hierbei irrelevant. Das ist vogelwild und komplett überdreht, es ist aber auch absolut kompromisslos und gnadenlos eigenständig. Inzwischen wird es aber langsam Zeit, dass die Miterfinder des Thrash-Metals mit durchwegs starken neuen Songs aufwarten, denn auch ihr Beitrag zur Musik-Geschichte könnte irgendwann verblassen und wenn ich mir diese absurde Scheibe noch ein weiteres Mal anhören muss, dann kotze ich so lange, bis ich tot bin.