Ich gebs zu - ich bin erst kürzlich über
The Dillinger Escape Plan gestolpert und kannte die Formation aus den US of A nur vom Hörensagen. Die Veröffentlichung von
"Option Paralysis" ist ja schon eine Weile her (März 2010). Trotzdem soll an dieser Stelle eine Review nachgereicht werden. Nicht zuletzt deswegen, weil die Mannen aus New Jersey demnächst die hiesigen Konzerthallen mit einem ihrer berüchtigten Konzerte heimsuchen werden (12.10.10. Szene Wien). Dass der Bandname bei uns Abkürzungswütigen zu
DEP mutiert, dafür können wir nix. Aber wer weiß,
DEP würden das vielleicht sogar originell finden ...
Wer das Œuvre der Mannen aus New Jersey kennt, weiß, dass es für
DEP zum guten Ton gehört, dem nichtsahnenden Opfer eine – auf gut österreichisch - ordentliche
Gnackwatschn zu verpassen. Gleich beim wutentbrannten Opener
"Farewell, Mona Lisa" gibt’s zum Einstand ordentlich was auf die Mütze.
Hier werden Betonklötze in den Shredder geworfen und althergebrachte Hörgewohnheiten genüsslich eingestampft.
Schnell stellt sich heraus,
DEP sind wahre Meister im Täuschen und Tarnen. So wird bei
"Farewell, Mona Lisa" erstmal
fies ein Intro angetäuscht, nur um dann
mit dem Panzer mit Vollschub aus dem Gebüsch hervorzubrechen. Pech, wer da nicht vorher in Deckung gegangen ist.
Und bei
"Good Neighbor" wird mit der Planierraupe gleich weitergebrettert. Vom eingängigen Refrain a la
"Gold Teeth On A Bum" oder das von Pianoklängen durchsetzte
"Widower",
über die Albumlänge von knapp über 40 Minuten wird dem Hörer einiges abverlangt.
"OP" fährt mit vertrackten Breaks und ungeraden Rhythmen mittlerweile alle bekannten
DEP Trademarks auf.
DEP knallen dem geneigten Hörer dabei
Jazz, Hardcore, Industrial, oder Pop-Versatzstücke aller Couleur um die Ohren, ohne dabei jedoch, und das ist das eigentlich Überraschende, das Songwriting aus den Augen zu verlieren.
Wütendes Gebolze wird urplötzlich mit andächtigen Klavierpassagen versetzt, nur um im nächsten Atemzug durch
eingängige Refrains oder seidig-weichen
Falsettgesang überrascht zu werden. Ob
Wutanfall oder
Wurzelbehandlung -
DEP Songs gehen durch Mark und Bein. Weitere Anspieltipps zum Grillen der Synapsen sind:
"Crystal Morning",
"Endless Endings" oder
"Room Full Of Eyes". Auch was die Songtexte betrifft, tendiert man dazu, in ernsteren Gewässern zu fischen - von einer Märchenstunde weit und breit keine Spur.
Generell kann
DEPs unkonventioneller Ansatz gefallen - ihre Songeskapaden
Stellvertreter-Wutausbrüche erster Güte. Klassische Songstrukturen werden wiederholt in Frage gestellt, was einen durchaus erfrischenden Charakter hat.
Wer sich darauf einlässt, kann sich auf ein abwechslungsreiches Hörerlebnis freuen.
In den dreizehn Jahren ihres Bestehens, haben sich
DEP von einem Untergrund Thrash-Geheimtipp zu einem Fixstern des Genres gemausert. Musikalisch sind
DEP dabei ein paradoxes Phänomen, paaren sie doch raue
Punk-Attitüde mit Grindcore-Elementen, den Präzisionswerkzeugen einer Progressive Metal Band und einer gehörigen Prise Free Jazz.
Benannt haben sich
The Dillinger Escape Plan nach
John Dillinger, der als erster
Staatsfeind Nr. 1 der USA in die Geschichtsbücher eingegangen ist.
Dillinger, 1934 von drei
FBI Beamten in Chicago erschossen, hatte den Ruf, ein
moderner Robin Hood zu sein. Er und seine Bande waren auf
Bankraub spezialisiert. Berühmt wurde er auch für seine zahlreichen gelungenen Ausbrüche aus verschiedensten Haftstrafanstalten.
Unweigerlich drängen sich Vergleiche mit
Fantomas und
Faith No More auf. Und tatsächlich haben
DEP auf ihrem 2002 erschienen Werk
"A Dead Scene" mit
Mike Patton kollaboriert - wie hätte es auch anders sein können. Sänger
Greg Puciato, seit 2005 mit dabei, gelingt es dabei blendend, dem Hörer
kalt/warm zu geben. Wenn auch nicht auf der künstlerischen Höhe eines
Mike Patton. Die Pianopassagen auf
"Widower" und
"I Wouldn't If You Didn't" stammen übrigens von
Mike Garson, langgedienter Avantgarde-Pianist der unter anderem auf
DAVID BOWIEs Klassiker
"Ziggy Stardust" mitgespielt hat.
Nach dem Sinn des Albumtitels gefragt, erklärte Gitarrist und einzig verbliebenes Gründungsmitglied der Band
Ben Weinman erst kürzlich:
"Option Paralysis" steht für eine Situation, in der man mit derart vielen Optionen konfrontiert ist, dass man sich am Ende nicht für eine von vielen Wahlmöglichkeiten entscheiden kann, und am Ende wie gelähmt ist. Klingt nicht unbekannt, die Situation.
Im letzten Jahr hatten sich
DEP von ihrem Plattenlabel getrennt und sind für
"OP" mit ihrer Mischung aus Math- und Jazzcore beim französischen Label
SEASON OF MIST Records gelandet.
Ein ganz traditioneller Plattendeal für nur eine Platte ist es geworden, meint Weinman auf der
DEP MySpace Seite.
Dabei war dem Plattenboss von vornherein klar, dass wir keine Hits landen würden, freut sich Weinman über die realistische Einschätzung seines neuen Labelchefs.
Klar. Auf eine Kuschelrock CD werdens DEP wahrscheinlich nie schaffen. Produziert wurde OP übrigens von keinem Geringeren als
Steve Evetts (
THE CURE, SEPULTURA).
Tendenziell ist man geneigt, den Jungs einen höheren künstlerischen Anspruch zu unterstellen, als manch anderer Formation, die sich
in ewig gleichen musikalischen Klischees ergeht und bei denen sich schon während des Intros abzeichnet, wie der Rest des Albums ausgehen wird.
Neu ist das zwar auch nicht, aber in der dargebotenen Intensität fallen einem - außer Meshuggah vielleicht - nicht sehr viele Bands ein, die in diesem Genre halbwegs breitenwirksam zu begeistern vermögen.
Fazit: Ordentlich
getasert steht man nach einem vollen Durchlauf mit Herzrhythmusstörungen ziemlich verdattert da. Auch wenn dies für manche Ohren wie ein Widerspruch klingen muss,
"OP" hat inmitten all des Getöses tolle Melodien zu bieten. Mathcore, Jazz und Pop – alles im selben Song. Nicht jeder Band gelingt das. Und ist auch nicht jedermanns Sache.
Dennoch wirkt die musikalische Bandbreite bei DEP nie zusammengeweurfelt. DEPs Verdienst ist dabei, gekonnt mit musikalischen Erwartungshaltungen zu brechen.
Und auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: es überrascht immer wieder, welch starke Melodien sich aus den Songs nach mehrmaligem Hören herausschälen. Fans des Genres sollten auch DEPs Backkatalog, insbesondere das Vorgängeralbum "Ire Works" auf die Fahndungsliste setzen.