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9.5
Das Musikbusiness ist alles andere als gerecht. Denn der große Erfolg ist in der Regel denen beschieden, die sich an den Mainstream anbiedern und deren Musik gleichzusetzen ist mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der eben gefällig dahinplätschert ohne Ecken und Kanten und möglichst jedem eben nicht zu viel Gehirnakrobatik abverlangt. Es gibt Spezialisten, sogenannte Produzenten, die jedem noch so unterdurchschnittlich talentierten Künstlerchen aus jedweder Musikrichtung genau solche Plätscher- Songs zurechtzimmern, als wäre es eine BigMac-Fabrik, aus der jeden Tag ein paar Millionen Burger rauspurzeln, die garantiert jedem schmecken oder zumindest den Bauch ohne großartige Nebenwirkungen füllen. Dazu werden dann noch idealerweise ein paar hübsche Gesichter gecastet und der Boulevardpresse ein paar Skandälchen serviert und – voila – fertig sind die neuen Supersternchen, die übermorgen, nachdem die Kasse ordentlich geklingelt hat, schon wieder vergessen sein werden. So funktioniert die Musikindustrie, und das nicht erst seit Milli Vanilli, sondern schon fast seit den Beatles.
Und dann gibt es da diejenigen, die eben wirklich Musik der Musik wegen machen, auf höchstem Niveau und ohne Unterlass, aber eben aufgrund eigentlich nebensächlicher Kleinigkeiten (Sänger zu fett, Gitarrist hat Hornbrille, Bassist schielt, dem Drummer gehen die Haare aus…) nie zu großem Erfolg kommen konnten. So, wieder mal genug gemotzt, denn eigentlich geht’s hier um die neue Heathen. Wer? Was? Wie bitte? Heathen? Nie gehört. Und genau das meinte ich! Denn seit Mitte der 80er stehen die Bay Area Thrash-Urgesteine um den Gitarristen und Exil-Russen Lee Altus und Sänger David White-Godfrey schon auf der Matte, haben 1987 mit "Breaking the Silence" und noch mehr 1991 mit "Victims of Deception" (zum Classic) Thrash-Geschichte geschrieben. Der große Erfolg blieb jedoch aus, hinzu kamen ständige Line-up-Probleme und so beschloß man 1992 die Segel zu streichen und Lee Altus verdingte sich die nächsten Jahre als Gitarrist bei den deutschen Industrialpionieren Die Krupps. Irgendwann um die Jahrtausendwende kehrte Altus aber wieder in die US of A zurück, reanimierte sein Baby Heathen und heuerte zum Geldverdienen zusätzlich bei den Kollegen von Exodus an. "Evolution of Chaos", das erste Ergebnis der wiederauferstandenen Bay Area-Legende Heathen liegt nun – dem kleinen, jedoch ungemein feinen Label Mascot Records sei Dank - endlich zur finalen Einsichtnahme vor und – so viel sei gleich vorweggenommen – überzeugt auf voller Linie. Auch wenn man Heathen vielleicht vorwerfen kann, nicht unbedingt der letzte Schrei in der hippen MTV-Metalwelt zu sein und sich ihre Musik ganz klar immer noch an der Thrash-Gründerzeit der 1980er orientiert, so bekommt man diese Zeitreise hier mit einer derartigen musikalischen Perfektion serviert, dass sich sogar die letzte Offenbarung aus dem Hause Megadeth war anziehen muss, um hier nicht ganz alt auszusehen. Bei Heathen stimmt einfach alles: Brutale Thrash-Riffs stehen neben großen Gitarren-Melodien und halsbrecherischen Soli, an denen sich Nachwuchsgitarristen wieder alle 10 Finger brechen werden. Das Songwriting ist absolut erhaben, hier paaren sich eingängige Melodien mit brachialem Riffing und teils schon progressiv anmutenden Songstrukturen und Rhythmen. Und zu alledem steht mit Dave White ein absolut charismatischer Sänger an der Frontline, dessen Stimme zwar ihre Limits hat, aber auch nach 25 Jahren immer noch vollkommen unverwechselbar ist. Nachdem man von einem orientalisch angehauchten Intro in Stimmung gebracht wird, knallt der Opener "Dying Season" mit dermaßener Gewalt aus den Lautsprechern, dass man kaum glauben kann, dass "Victim of Deception" schon bald 20 Jahre zurück liegt. Über ein unermüdlich bolzendes Schlagwerk legen sich da absolute Killerriffs und NWOBH-angehauchte Twin-Gitarren und bilden den perfekten Teppich für David Whites charismatischen, aggressiven, jedoch durchwegs melodiösen Gesang. In die gleiche Kerbe schlägt der zweite Song "Control By Chaos", der mit Full-Speed losschlägt, und nur für den Refrain kurz auf die Bremse tritt. Im knapp 11-minütigen "No Stone Unturned" gehen die Bay Area-Veteranen dann tempomäßig gemächlicher zur Sache, dafür knarzen die Stakkato-Riffs umso brachialer und im instrumentalen Mittelteil packen Altus und Co. dann gar die Akustikgitarre aus, bevor der Song in einem Gitarrenspeedgewitter par excellence ausklingt. Das folgende "Arrows of Agony", ein eher simpel gehaltener, geradliniger Thrasher mit absolut Moshpit-kompatiblem Mittelteil, weist dann tatsächlich Hitqualitäten auf, was aber beinahe auf jeden Song dieses überdurchschnittlichen Werkes zutrifft. So auch das mehrheitlich im Midtempo gehaltene "Fade Away", das nach knapp drei Minuten mit einem psychedelischen Intermezzo überrascht, nur um danach mit Höchstgeschwindigkeit reihenweise Bangerschädel abzumontieren. Dass die altersmäßig wohl schon etwas angegraute Fanbasis von Heathen auf Dauer solche Granaten nicht durchhalten würde, war den California-Heiden wohl bewusst, und so werden den gebrechlichen Knochen der Fans bei "A Hero’s Welcome" ein paar ruhige Momente spendiert, in denen man sich selig lächelnd im Moshpit in die Arme fallen und im Walzerschritt zu den hymnenhaften Klängen dieses Songs die Beine schwingen kann, bevor bei "Undone" und dem mit 4 Minuten recht kurz geratenen "Bloodkult" wieder gitarrenriff- und schlagzeugtechnisch die Bude auseinander genommen wird. Dieses hohe Niveau wird auch mit den abschließenden Songs "Red Tears of Disgrace" und "Silent Nothingness" – der ganz und gar nicht programmatisch für dieses Album ist - gehalten und nach den letzten Takten sollte man sich bewußt sein, einen legitimen Anwärter auf den Titel Album des Jahres 2010 gehört zu haben. Denn auch nach knapp zwei Wochen Dauerrotation hat sich dieses Juwel noch kein bisschen abgehört, sondern wächst eher noch mit jedem neuen Durchlauf. Bei so viel Genuss bleibt dem Professor nichts anderes übrig, als den wiedererstandenen Heathen 9,5 von 10 weiteren Reanimationswässerchen zu verabreichen, und somit den Beweis anzutreten, dass auch ungläubige Heiden von den Toten zurückkehren können – und das noch dazu mit mehr Energie und Frische als vor dem Dahinscheiden. Trackliste
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Reviews
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