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Schandmaul
19.04.2008, Orpheum, Graz
Eines Abends im März 2003 verschleppt mich mein bester Freund Hope spontan ins Orpheum Graz. Schandmaul spiele da, irgendwas Mittelalterliches, und die Karten seien auch nicht teuer. Na dann! - Im Saal sind noch die Stühle aufgestellt, nur die vordersten fünf Meter sind frei. Die Hälfte der etwa 50 Besucher sitzt, die Schwarz- und Mittelalterfraktion steht wohlweislich. Dann bricht die "Sturmnacht" über uns herein, und zwei Stunden später haben wir das vielleicht ausgelassenste Konzert unseres Lebens mit der vielleicht sympathischsten Folk-Rock-Band der Welt erlebt.
Nun schreiben wir das Jahr 2008 Anno Domini, die Iden des März liegen bereits mehr als einen Mond zurück, und noch jung ist der neueste Silberling aus der Schmiede der Schandmäuler, dem die magischen Klänge aus der "Anderswelt" (zum Review) eingeprägt sind. Doch was sind schon alle Silberlinge dieser Welt gegen das livehaftige Erlebnis der sechs musizierenden Spielmänner und -Frauen in wohlgefüllten Hallen? So folgen dem Aufruf zu neuen Schand(maul)taten diesmal über 900 Besucher (sogar aus Italien sind Fans angereist!), und das Orpheum ist bis zum Bersten gefüllt, platzt beinahe aus allen Balken und Planken. Als äußerst angenehm empfinden Nichtraucher wie ich das generelle Rauchverbot im Orpheum, während die vom Nikotin-Dämon gepeinigten Seelen immer wieder hinaus an die frische Luft eilen. Im Gewusel zwischen jungen Knirpsen und alten Haudegen, Schwarzgewandeten und Kettenhemdträgern erblicke ich zahlreiche vertraute Gesichter. Ein größerer Stau bildet sich an der Garderobe und löst sich zeitgerecht wieder auf. Die Lichter verlöschen, und aus den Boxen ertönen schaurige Klänge. Schandmaul betritt die Bühne und legt mit "Wolfsmensch" einen fulminanten Opener aus der "Anderswelt" aufs Parkett. Das altbekannte "Herren der Winde" und nach einer kurzen Begrüßung auch noch das energiegeladene "Leb!" bringen die Halle sogleich zum Beben. Immer wieder landen ekstatisch geschüttelte Haare in meinem Nacken. Mich packt die unbändige Lust, hier im Fotograben einfach hemmungslos mitzuspringen, die Hände mit oder ohne Pommesgabel in Richtung Bühne zu strecken, und lauthals jede Zeile mitzusingen. Nur mühevoll gelingt die Selbstbeherrschung. Herrje, hier die Ruhe zu bewahren kommt einem mittelschweren Sakrileg gleich! Während ich mich wieder unters Volk mische, setzt die Band mit dem "Lichtblick" fort und bringt dann mit "Zweite Seele" wiederum ein starkes Stück aus der "Anderswelt". Alles rockt und dudelt, tanzt und springt - die Musiker auf der Bühne stehen dem Publikum dabei um nichts nach. Anna und Birgit vollführen so manchen lieblichen Tanz, oft mit Unterstützung durch die Saitenfraktion. Die Spielfreude leuchtet der gesamten Truppe förmlich aus den vergnügt strahlenden Gesichtern. Aber kommen wir erstmal zu den technischen Details. Eine Besonderheit an Schandmaul-Konzerten ist seit jeher die angenehme Lautstärke. Text und Melodei dringen stets glasklar aus den Boxen, kein Hollenthon erschüttert irreparabel das Trommelfell. Diesmal jedoch überrascht mich der vergleichsweise hohe, gerade noch Toleranzbereich rangierende Pegel. Klar, die Musik soll nicht von den 900 Fans übertönt werden, aber meinem Gefühl nach wäre eine Spur weniger hier wie gewohnt mehr gewesen. Zudem gehen die Instrumente von Birgit und Anna teilweise im Klangteppich unter. Dennoch können meine Schweinsohren in der zweiten Hälfte des Sets eine - relativ zur übrigen Fraktion - deutlich verstimmte Flöte ausmachen. ... summa summarum also ein passabler, aber steigerungsfähiger Sound. Das war schon mal besser! Wieder zurück zu den Songs. Thomas kommt in seiner Rolle als Märchenonkel langsam richtig in Fahrt. Zunächst bringt er zur "Tür in mir" die erste längere Ansage des Abends, untermalt den Song mit schaurigen Blicken und Gesten. Danach gesteht er uns seine leidvollen Erfahrungen darüber, wie man sich bei Experimenten mit einem Kleiderbügel die Familienjuwelen beschädigen kann. Diese Anekdote leitet - erraten! - das "Missgeschick" ein, und das Publikum johlt vergnügt. Dennoch üben sich die Fans, soweit ich das erkennen kann, beim herrlich zur Nachahmung einladenden Refrain in Zurückhaltung, und die meisten Hinterteile bleiben verschont. Schade eigentlich! Ich dachte, das würde sich wie ein Lauffeuer im Saal verbreiten. Und selbst? Nun, in Ermangelung einer besseren Hälfte, umgeben von mir unbekannten Mädels... lieber nicht zuviel riskieren, sonst landet statt des Kleiderbügels noch ein Knie in den Kronjuwelen, und ich muss - so wie Thomas - Musikant werden. ;-) In den Pausen zwischen den Songs können sich ein paar Die-Hard-Fans aus dem Publikum ihre lauten "Anna!"-Rufe nicht verkneifen. Ja, wo bleiben denn die Sprechchöre für Birgit und die Jungs? Die Truppe nimmt es mit Humor, jeder rockt und tanzt sich auf der Bühne einen ab. Anna grinst indes vermutlich über beide Ohren. Noch eine Ansage führt uns in die "Anderswelt", dann aufs "Geisterschiff" und zur "Mitgift". Ein weiterer Spruch unseres Märchenonkels Thomas lädt zum "Feuertanz" ein. Jetzt aber wird es nach längerer Durststrecke wieder höchste Zeit für einen Klassiker! "Der Talisman" verzaubert Fans der zweiten Stunde. "Das Tuch" bringt beschwingte Laune, ehe sich bei "Grosses Wasser" balladeske Besinnlichkeit in den Gemütern ausbreitet, welche sogleich wieder vom flotten "Fiddlefolkpunk" kompensiert wird. Der "Krieger" wird ruhmreich besungen und mit "Frei" erfolgt endlich der lang ersehnte Befreiungsschlag. Was für ein Hochgefühl, sich beim Refrain so weit wie möglich zu strecken und die Textzeilen lauthals zu exklamieren! Und dann endlich, endlich ein Stück vom "Narrenkönig". Was wäre ein Schandmaul-Konzert ohne die "Walpurgisnacht"? Bei "Der letzte Tanz" kommen auch die Spitzbuben nochmals voll auf ihre Kosten. Die Band verschwindet sodann von der Bühne, aber wir wissen genauso gut wie sie, dass es das noch lange nicht gewesen sein kann! So wird denn auch der erste Zugabenblock enthusiastisch akklamiert. Eingeleitet vom Instrumentalstück "Das Mädchen und der Tod", bei welchem Anna und Birgit im von unten kommenden Rampenlicht geradezu schaurig abrocken, vermählt uns die Truppe sogleich mit der "Braut" und krönt den Block mit der traumhaften Ballade "Dein Anblick". Oh Herzschmerz! Des einen Freud', des anderen Leid - ist dieses Lied doch so manchen Menschen geradezu auf den Leib geschrieben. Ich will ja keine Namen nennen... Fest steht, dass ein solches Lied in trauter Zweisamkeit zu den glückseligsten Momenten zählt. Was soll's, der Tag wird wieder kommen! Und weil ein Zugabenblock nicht reicht, gönnen wir uns gemeinsam noch einen zweiten. Die notwendige Überzeugungsarbeit fällt den über 900 Kehlen nicht schwer. Graz hält übrigens den Zuschauerrekord - kein Wunder! Zugegeben, wir haben auch Verstärkung aus der Bundeshauptstadt. Und nicht zu vergessen die geradezu exotischen Besucherinnen aus Italien (die auch tags darauf am Paganfest mitrocken)! ... Der Abschluss fällt mit "Denk an mich" und "Prinzessin" geradezu besinnlich aus. Auch keine blöde Idee, das Publikum entspannt zu verabschieden. Obwohl natürlich minutenlanges "Zugabe!"-Geplärre auch seine Reize hat. In jedem Fall sind zwei Stunden Schandmaul (24 Songs) einfach zu wenig – der unersättliche Fan würde jetzt mindestens noch eine weitere Stunde mit Klassikern wie "Vogelfrei", "Der letzte Tanz", "Waldmär", "Teufelsweib", "Sichelmond" oder "Willst Du" (hach!) benötigen. Leider bleibt dieser Wunsch unerfüllt, und damit steht fest, dass Schandmaul einfach möglichst bald wiederkehren muss, um die Kulturhauptstadt 2003 erneut in fröhliche Ekstase zu versetzen. Wer nun glaubt, der Abend sei gelaufen, irrt gewaltig! Die geduldigste Band der Welt signiert draußen noch ein paar hundert CDs, Plakate, Shirts, Tickets, und was sich sonst noch alles bemalen lässt. Dazu gibts mit allen Musikern zahlreiche Fotos und nettes Geplauder. Da kann sich der Rest der Musikwelt wirklich eine Scheibe abschneiden! Auch die Leute am Merchandising-Stand glänzen durch gute Laune. So macht die Konzertsaison wahrlich Spaß. Ziehen wir also Bilanz: - 9 x "Anderswelt" - 6 x "Mit Leib und Seele" - 3 x "Wie Pech und Schwefel" - 2 x "Narrenkönig" - 3 x "Von Spitzbuben und anderen Halunken" - 1 x "Wahre Helden" - überwiegend guter Sound, nicht optimal eingepegelt - randvolles Orpheum - ausgelassene Stimmung - lustige Sprüche (wobei Märchenonkel Thomas noch nicht voll in Fahrt zu sein scheint - aber wie er auch im Interview sagt: am Ende der Tour sind die Ansagen immer perfekt!) - langes Signieren und Geplauder Was bleibt da noch zu sagen, außer: bitte nochmal? :-) Schandmaul-Setlist: 01. Wolfsmensch 02. Herren der Winde 03. Leb! 04. Lichtblick 05. Zweite Seele 06. Tür in mir 07. Missgeschick 08. Anderswelt 09. Geisterschiff 10. Mitgift 11. Feuertanz 12. Der Talisman 13. Das Tuch 14. Großes Wasser 15. Fiddlefolkpunk 16. Krieger 17. Frei 18. Walpurgisnacht 19. Der letzte Tanz ---------- 20. Das Mädchen und der Tod 21. Braut 22. Dein Anblick ---------- 23. Denk an mich 24. Prinzessin |
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