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10.0
Die Exposition nach der Frage um Atlantean Kodex wird sich immer auch darum drehen, wie in den herbstlich gefärbten Jahren des Heavy Metal noch Musik von Relevanz, Nachhaltigkeit und Schönheit in Einheit geschrieben werden kann; nicht als ein Fragen im Gedanken des Selbstzwecks, sondern mit Bezug auf schon vorliegendes Schaffen – "The White Goddess" stellte 2013 alles in der Metal-Szene sicher Geglaubte vom Kopf auf die Füße und gilt nicht umsonst seit Erscheinen als eines der größten Alben aller Zeiten, doch darf man nicht vergessen, dass schon "The Golden Bough" zur Veröffentlichung viel mehr gelobt wurde, als es heute Manche zugestehen. Schon 2010 kamen die Superlative selten allein und man wagte die Vorstellung kaum, dass es noch einmal besser kommen würde – und, zumindest den Mehrheiten nach, es kam besser.
Was also sind die Erwartungen an die Band im Jahr 2019, sind sie realistisch und wie werden sie getroffen oder verfehlt? Kann das Husarenstück der weißen Göttin wiederholt werden? Zweifellos ein naheliegender, zugleich beängstigender und vielschichtiger Gedanke. Kann die Großtat sogar übertroffen werden, wie es mit deren Vorgänger geschah? Eine Idee, die man nicht ernsthaft hätte phantasieren dürfen, die trotzdem allgegenwärtig durch die dunkleren und unterdrückten Regionen der Gedanken wanderte. Viel zitiert auch das beschwichtigende Dogma, mit "guter Musik" schon zufrieden sein zu können; als wäre das seit den "Pnakotic Demos"-Tagen je die Erwartung gewesen und als wäre der Jammer in der kleinen, aber sehr stabilen und verknüpften Szene nicht durch jede Wolkendecke gedrungen, hätte das Quintett nur solide geliefert. Um diese Gedanken kommt man sechs Jahre nach der Zeitenwende zum regressiven, das Urige suchenden Heavy Metal nicht herum, wenn "The Course of Empire" zum Siegeszug die Hufe scharrt. Und die Dimension der Heere lässt die Vergangenheit leben; knapp über eine Stunde neuer Musik wird angeboten und die Durchschnittslänge liegt knapp unter jener der beiden Wegbereiter. Erstmals plündern Atlantean Kodex für das Cover eines Studioalbums kein Museum, sondern lassen sich ihre Vision entwerfen. Marginale Änderungen, die dem eifernden Zeloten -das sind die Scharen um die Musiker alle- aber auffallen und wichtig sind – und nicht zuletzt die Phantasien um die Tonkunst beflügeln. Doch viel ahnt die Metaphysik und wenig weiß auch der Epistemologe, es geht in die Essenz, wenn endlich "The Alpha and the Occident" erhaben einleitet; schon hier deutet sich an, was sich durch das Album ziehen wird: war "Trumpets of Doggerland" einst ein Intro, das klassischem Doom nahe kam, ist die Seele früher Manowar und Bathory zu "Hammerheart"-Zeiten nicht nur eingehaucht, sondern in dialektischer Entfaltung begriffen und offenbart sich von Lied zu Lied immer weiter. Schande dem, der sich bei den einleitenden Riffs von "People of the Moon" nicht an die "Hail to England"-A-Seite erinnert fühlt. Der Gedanke drängt sich auf, dass es sich, trotz der getragenen Parts der zweiten Hälfte, um den mit schwerstem Stahl geschmiedeten Atlantean Kodex-Song handeln könnte, doch "Lion of Chaldea" setzt da nochmals eine Idee Heavy Metal drauf. Mit dem Gewicht der Fäuste von Tyrannen machen sich die "Chariots" auf den Weg und sind der ultimative Tribut an Doom Metal zwischen den mahlenden Mühlen von Reverend Bizarre und der Anmut und Bilderhaftigkeit von "Secret of Steel"; mit dem edlen Refrain sicherlich auch ein kommender Hochmoment, wann immer sich die Herren, samt neuer Dame an der Leadgitarre, nachdem Michael Koch nach jahrelangem Einsatz den körperlichen Beschwerden Tribut zollen muss, auf die Bühne begeben. Ein kurzes, aber bemerkenswertes, durch Markus Beckers immerzu besserem Gesang getragenes "The Innermost Light" leitet über zu "A Secret Byzantium", dessen wunderschöne Prosa am Eingang jeder Universität hängen könnte und das klar macht: auf "The Course of Empire" hört man sich von einer Großtat zur nächsten; nicht ein Ton ist gedankenlos geschrieben. Es überkommt einen das Gefühl, hier werde grazil daran gearbeitet, den alten Herren Heavy Metal von den Spelunken der "Fire-reimt-sich-auf-Desire-Kalibanen zurück zu holen in die Welt der Gedankenvielfalt, der Selbstbehauptung und auch der Universität. Spätestens hier verwundert es nicht mehr, dass die beiden Schwergewichte "He Who Walks Behind the Stars+ und der Titeltrack auch nichts weniger als die buntesten und schönsten Worte verdient haben, aber es muss Schluss sein; wer es bis hierhin geschafft hat, ohne seinen nächsten Händler zu rufen, ist neu in den Sphären dieser Kunst. Wortgewaltig werden Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukunft Europas dargelegt und die Finesse, mit der die Lyrik ausgearbeitet ist, sucht ihresgleichen – im Grunde genießt man das Album nur zur Hälfte, hat man nicht die physische Version samt im höchsten Detail ausgearbeiteten Booklet vor Augen. Ist damit das Unmögliche geschafft? Welchen Stellenwert hat die Band nun in der Szene, vielleicht sogar der Musikgeschichte? Eine Randnotiz aus den Ländern edler bayrischer Menschen sind Atlantean Kodex längst nicht mehr und auch wenn sich Manuel Trummer und seine Gefährten stets Bescheiden präsentieren, ist jedem klar, dass es keine kleinen Fragen mehr gibt. Sollte "The Course of Empire" tatsächlich das letzte Schaffen der Band sein, ist man auf einem erneuten Höhepunkt abgetreten und kann das makelloseste Lebenswerk vorweisen, das je aus den Garagen bis Akademien des Tons kam. Trackliste
Mehr von Atlantean Kodex
Reviews
15.05.2017: The Annihilation Of Bavaria (Review)29.09.2013: The White Goddess (Review) 27.10.2010: The Golden Bough (Review) News
24.07.2019: Artwork und Tracklist zur dritten LP16.11.2014: Annihilation of Tyrol! 27.08.2013: Neuer Videoclip und Albuminfos der Epic Metaller. 10.07.2013: Erste Infos zum zweiten Lonplayer 27.09.2011: "The Golden Bough" Nachfolger für Ende '12 Interviews
06.11.2013: Gerechtigkeit denen, die den Mut zum Risiko haben. |
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