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Von Zeit zu Zeit gibt es sie ja, diese schwer fassbaren Musik-Singularitäten, die den Zuhörer erstmal an die Wand drücken mit ihrer überbordenden Kreativenergie. Sie ergreifen einen, lassen einen fassungslos zurück ob ihrer erhabenen Schönheit und die Gefühlskraft ihrer Kompositionen schiebt alles weg: Die Krisen, die Hektik, die Wut. Solange solche Musik komponiert wird, kann es eigentlich nicht so schlimm stehen. Die Dichte, Tiefe und Nachhaltigkeit eines dieser opulenten Gesamtkunstwerke allein reicht für alle unbefriedigenden Tage die noch kommen sollten und manchmal geschehen eben wunderbare Dinge - nicht, weil göttliche Mächte ihre Hände Spiel haben, sondern weil höchst irdische Menschen die Dinge wunderbar ordnen. Einfühlsam, aber entschlossen.
So geschehen 1990, als fünf Außerwählte namens Psychotic Waltz mit ihrem Debütalbum auf Anhieb einen solchen Volltreffer landeten, so intensiv allgegenwärtige Emotion in Vers und Klang fügten und so erfolgreich Verstand und Gefühlstiefe miteinander verbinden konnten wie nur sehr, sehr wenige Bands. Mit einer Gradwanderung zwischen psychedelischer Brutalität, fesselnden Hooks und unvorhersehbaren Tempowechseln erzeugen sie einen atmosphärisch unerreichten Sound und haben mit der Jahrtausend-Platte "A Social Grace" den psychedelischen Prog-Metal mit bezwingenden Melodien für immer im kollektiven Bewusstsein verewigt. Melancholisch, aber niemals wehleidig, bauen die Südkalifornier ihre hypnotischen Soundlandschaften auf, lassen ihre Akkorde dahinschweben, ihre Instrumente weinen und nicht nur auf ihrem Debüt-Album feiern sie die zeitlose Melancholie. Wer sich in die dunklen Tiefen von Psychotic Waltz hinabbegibt, sollte seelisch stabil sein. Ein Meisterwerk, nicht weniger: "A Social Grace" gleitet durch die Rock und Metalgeschichte. Und zwar auf Ebenen, die man bislang eher den großen Songwritern zugeschrieben hat: Es ist getragen von großer Ernsthaftigkeit, durchzogen von tiefer Liebe zu Klängen, Emotionen, Grooves und Atmosphären. Nichts zählt – kein Hype, kein Trend, keine Coolness-Attitüden, keine Markt-Argumente – außer Musik, die einen Wert aus sich heraus hat. Auf dieser fulminanten Großleistung gehen strahlende Glücksseligkeit, reißender Schmerz, Düsteres, Paradiesisches und irdische Träume eine unwiderstehliche Verbindung ein. Das Album bleibt über 13 Songs hinweg einer verhangenen, irgendwie resignierenden, irgendwie bedrückten Stimmung treu - hat sich der Hörer aber von dieser Atmosphäre gefangen nehmen lassen, so wird er mit überraschenden Wendungen, versteckten Anspielungen und Momenten von klarer Schönheit belohnt. Es ist Musik, in die man sich hineinfallen lassen kann - und vielleicht auch muss, um sie zu genießen, um sie zu begreifen. Das Spektrum des musikalischen und emotionalen Gefüges reicht von bombastisch verspielt, kollektiv ekstatisch, bis zu bedrohlich kriechend und wird durchwegs von warmen, trancelastigen Melodien und grenzüberschreitenden Soundteppichen durchsetzt, was auch bei der grandiosen Jethro Tull Hommage "I Remember" zum balladesken Ausdruck kommt. 64 Minuten lang pflügen sich die Amis nach Herzenslust mit aberwitziger, schier unglaublicher Gitarrenarbeit, wüsten Rhythmuswechseln und dem jenseitigen Engelsgesang von Frontmann Buddy Lackey durch ihr eigenes Universum aus Prog, Rock, Metal und grüblerischer Schwermut. Und hier liegt das Geheimnis von Psychotic Waltz: alles zusammenschmeißen und doch eine eigene Handschrift behalten, sehr ausufernd, aber auch irgendwie von komplexer Einfachheit. Ideen auf Ideen auf Ideen schichten, ohne Songs zu überladen. Trotz tiefverzerrter Riffparts wunderschön morbide Atmosphären erschaffen, die zum Träumen einladen und beim Hörer das anvisierte Kopfkino in Gang setzt. In diese Musik muss man ganz tief eintauchen und nach dieser Gehirnspülung aus Klangwellen ist man gezeichnet für sein Leben. Auch textlich ist "A Social Grace" alles andere als leichte Kost, zeigt uns doch Oberlyriker Buddy Lackey, wo die Seele wohnt, erschüttert mit seinen mystischen, depressiven und todtraurigen Wortkaskaden Mark und Bein und öffnet dabei die Pulsadern der Zuhörer von ganz allein. Wenn er all das menschlich Abtrünnige mit fehlender Demut und Gier beklagt, zieht es einem unweigerlich die Mundwinkel nach unten. Wenn er über scheinbar nie enden wollende Täler unserer kümmerlichen Existenz sinniert, fröstelt einem vor Freude. Traumhaft schön! Das Deprimierendste, aber auch Erhebendste an den Texten ist die Abwesenheit von Beschönigungsformeln und Erbauungsfloskeln: "Guess we`ll all play the loosing game" oder "A symphony of tragedy awakes a watchful eye, a serenade of agony pours down from the sky" folgen "Realize your insignificance to the universe and to infinity" und fährt beim finalen Runterzieher "Nothing" fort: "The wisest is the fool who realizes he knows nothing" oder "Everything you have borrowed for this life is nothing"… Es besteht kein Zweifel! Psychotic Waltz bescherten uns fast beiläufig mit diesem beschwörenden Meilenstein eine der ergreifendsten Scheiben der gesamten Metal-Historie. Die Genialität dieses Albums kann man kaum in Worte fassen, löst es doch heute noch mit seinen träumerisch abgespacten Progrock-Landschaften immer noch Schweißausbrüche und hypnotische Faszination aus. 24 Jahre ist es nun her als Dan Rock, Buddy Lackey, Brian McAlpin, Norm Leggio und Ward Evans diese stilprägende Band (hervorgegangen aus der Band Aslan) gründeten, mit ihren vielschichtig und unkonventionellen Outputs legendären Status als eine der Paten des Prog-Rock-Metal erlangten und unzählige Bands weltweit inspirierten. An der schlichten Schönheit der Songs und ihrer wundervollen Intensität hat sich aber nichts geändert und vielseitiger, phantasievoller und originärer klang anspruchsvolle Musik seitdem nicht mehr. All diese unterschiedlichen Elemente, Genres, Visionen und Persönlichkeiten fügte man zu einem homogenen, letztlich unverwechselbaren Stil zusammen. Das allein wäre schon eine Leistung. Wir wagen deshalb eine Prognose: Mehr Musikalität und Gefühl wird auch im nächsten Jahrhundert kaum ein anderer Künstler bieten können. Trackliste
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