Erst vor zwei Jahren wusste Nicolas Chapel anhand seines Debütalbums
"Building An Empire" die Lauscher der Progressiv Rock Szene in die Vertikale zu biegen. Das Detail verliebte und dennoch äußerst homogene Songwriting verwoben mit der charismatischen Stimme des Solokünstlers hob sich schnell von der Masse ab und erntete auch on Stage dementsprechend dicke Lorbeeren, zudem man für die britischen Edelprotagonisten
Marillion und
Porcupine Tree als Support fungierte. Für
"Mute" zog sich der Hobbyphilosoph und Autor sinnigerweise in die beschauliche Normandie zurück, um all seine gesammelten Ideen für einen würdigen
"Building An Empire" Longplayer zu bündeln. Dem nicht genug: neben den eingezirpten Vocals spielte Nicolas abermals alle (!) Instrumente höchst persönlich ein. Es soll alles so entstehen, wie man es im Herzen tief drin fühlt, ohne Einflüsse anderer, möglichst "ungetrübt" und autark, meint der bescheidene Franzose. Wer wagt, gewinnt? Ganz genau so verhält es sich. Ja in diesem Fall hat sich das Risiko des Egotrips vollends ausgezahlt, denn
"Mute" bietet sogar noch mehr Facetten als sein superber Vorgänger und besticht immer wieder durch atemberaubende Sequenzen, die da draußen gehört werden wollen.
Jetzt mal abgesehen vom stilvollen Coverartwork - das Album gibt es übrigens auch als schickes DIGIPACK - erweist sich
"Mute" als ein einziger Siegeszug. Während die "Tricolore" am grünen Luxusrasen erst kürzlich und völlig zurecht als großer Verlierer der Fussball WM ausgebuht wurde, triumphiert Landsmann Nicolas Chapel dieser Tage in allen Belangen auf SEINER eigens erschaffenen Spielwiese - sicher eines der schönsten und zugleich aufwühlensten Tonmonumente, welches mir seit Monaten zu Ohren gekommen ist. Dabei geht es beim Opener
"Swing Of The Airwaves" ungewohnt sperrig los, nämlich synthetisch, rau und kalt. Aber diese stete Wandlung hin zu einem wahrhaften Mega-Refrain, bei dem man förmlich den Sonnenaufgang beobachten kann, lässt plötzlich alles hinter sich - was für ein Geniestreich ist das bitte?! Trotz der Tatsache, dass
"Mute" nicht mehr so fragil, schmeichelnd und zugänglich wie
"Building An Empire" wirkt, wird der Hörer in einen audiophilen Sog gezogen, der seinesgleichen sucht ... Sucht? - exakt:
SUCHTGEFAHR! Introvertiert und schüchtern sei der Mann laut eigener Aussage - umso extrovertierter und lebendiger ist sein musikalischer Ausdruck innerhalb dieser 50 Minuten. Überhaupt spiegeln einige Tracks eine Art Seelenstriptease des Monsignor - nicht selten andächtig und zerbrechlich während ihrer Initialphase, um auf beeindruckende Weise zu einem höchst dramatischen Finale zu mutieren - Musterbeispiel gefällig? Hört euch das - aber bitte
INTENSIV - teils von indischen Klängen eingefärbte
"Overhead" an! Es sind diese geradezu Oskarreifen Übergänge und Stimmungswechsel, die den Konsumenten immer wieder ins Staunen versetzen. Gelegentliche Vocal-Affinitäten zum Kanadier
Devin Townsend, wie man sie im flockig dahin treibenden
"Feel Alive" (!) ortet, dürfen natürlich als Kompliment aufgefasst werden.
Dass ein zeitgemäßer und gleichermaßen kontrastreicher Progressiv Rock Release in seinem Interieur ebenso Electronic-Sounds und Drumloops haben "darf", steht außer Diskussion. Dieses gelungene Experiment zeigt insbesondere das ruhigere
"Porcelain" auf, bei dem ich stante pede dachte, Tastenikone Kevin Moore (
Chroma Key,
Osi) wurde als Co-Writer involviert. Erwähnenswert sind im Weiteren noch
"Rainbow Ruse", ein auf simplen Klavierakkorden basierender, getragener Song, der an Deutschlands ewigem Semigeheimtipp
Everon erinnert sowie das Postrock/Industrial Terrain namens
"Hestitation Waltz" und der schmeichelnde Herzwärmer
"Black Over Gold" - so und nicht anders bringt man Eisberge zum Schmelzen. Apropos ... ist da wirklich alles Gold, was glänzt? Nicht ganz. Einzig allein der sechste Track
"Tidal", der als überraschend straighter Alternativrocker zwischen diesen monströsen Bergen und gefahrvollen Schluchten weilt, passt nicht sonderlich ins Konzept von
"Mute".
Es scheint, als hätte sich das sensible Genie aus dem Land des edlen Tropfens in den letzten Monaten mit den Referenzwerken von
Tool oder
Radiohead ernsthafter beschäftigt. Zumindest lassen die aktuellen Soundexperimente solche Tendenzen erkennen wodurch höchst interessante aber genauso grenzgeniale Klangdimensionen entstanden sind. Was soll ich sagen? Ein graziles und leidenschaftlich inszeniertes Kleinod liegt hier vor, das für mich klar zu den engsten Titelaspiranten 2010 gehört. Da bleibt nur noch die Frage: Wie zur Hölle möchte dieser Chapel den zweiten Überflieger noch toppen?