Ein Gutteil der Darkscene-Leser wird sich wohl fragen, was eine Band hier zu suchen hat, deren Musik schwere Pop-Affinitäten aufweist und beinahe gänzlich ohne Aggression auskommt, die Balladen schreiben kann, die von Kitsch und Pathos meilenweit entfernt sind, deren offen schwuler Bassist neben
Iron Maiden als musikalische Einflüsse unmetallische Exoten wie
Eurythmics oder
Depeche Mode angibt, deren Sänger scheinbar weder Mann noch Frau ist und auch mit beiden Geschlechtern gleich gerne zu Bette geht. Die Antwort ist einfach:
Placebo können rocken wie die Sau und stellen, ihrerseits beeinflusst von solchen Größen wie
Nirvana und
David Bowie, einen der wichtigsten Einflüsse für (auf Darkscene hochgelobte) Emos wie
Muse dar.
Placebos 2006er-Release
"Meds" war zwar durchaus von hohem Standard, letztlich ließ er aber die gewohnten Hitqualitäten der Vorgängeralben vermissen. Und auch auf dem neuen, nunmehr 6. Studioalbum
"Battle for the Sun" erfinden sich Brian Molko, Stefan Olsdal und der Neuzugang am Drumschemel Steve Forrest nicht neu. Das ist jedoch gar nicht nötig, denn mit ihrer Mischung aus harten Gitarrenriffs, pop-tauglichen Melodien und 70er-Glam-Rock-Attitüde stehen Placebo sowieso alleine auf weiter Flur, haben also alles Recht der Musikwelt ihr Ding konsequent durchzuziehen. Diese Resistenz gegen einschneidende Veränderungen sollte schon nach den ersten Akkorden des Openers
"Kitty Litter" klar sein, ein Placebo-typischer Rocker der härteren Gangart, in dem Brian Molko zwar den Wunsch nach Veränderung hinausschreit – „I need a change of skin!“ – dies aber offensichtlich nicht in musikalischer Hinsicht gedacht ist.
Trotzdem gibt es einiges an Neuem zu hören: Die Produktion und ein großer Teil des Songmaterials gehören zum Härtesten, was Placebo bisher gemacht haben und der neue Drummer Steve Forrest erweist sich als wahrer Glücksgriff, der mit mächtigem Punch und technischer Vielseitigkeit Placebo zu neuen Leistungen vorantreibt. Das Songmaterial ist überhaben wie immer, tolle Melodien, Dynamik, knackige Riffs, Ohrwürmer und ab und zu ein etwas schrägerer Akkord bilden den perfekten Hintergrund für Brian Molkos unverkennbaren Gesang. Absolutes Highlight ist wohl der Titeltrack
"Battle fort he Sun", der harmlos und ruhig mit Perkussion beginnt, sich im Refrain dann mit Streichern und Piano zu einem großartigen musikalischen Breitwandepos voller Emotionen steigert.
Der Rest der Songs ist von gleich hoher Qualität, ab und an mit etwas Elektronik-Sounds aufgepeppt, und von David Bottril, der unter anderem bei
Tool schon Metalerfahrung sammeln konnte, exzellent mit viel Druck und Transparenz im Hochglanzformat produziert. Brian Molkos Texte handeln immer noch von gescheiterter Liebe und Emotionen, eine willkommene Abwechslung zum Metal-typischen Einheitsbrei aus Machoposen und Gewaltphantasien. Zwar gibt’s auch diesmal kein zweites
"Every You Every Me" vom 1998er-Überalbum
"Without You I’m Nothing", doch
Placebo sind im Independent-Rock-Bereich immer noch eine wichtige Konstante, mit der man jederzeit rechnen muss.
Bekanntlich ist ein Placebo ja ein
Medikament das aufgrund des Fehlens von Inhaltsstoffen beim Patienten eine Wirkung nur vortäuschen soll , im Normalfall aber
wirkungslos bleiben wird. Da man der gleichnamigen Band jedoch Wirkungslosigkeit und Inhaltsleere beim besten Willen nicht attestieren kann, verschreibt der Professor – der gerne Doktor wär –
9 von 10 möglichen Zuckerpillen, die auf Brian Molko und seine Mitstreiter eine Wirkung haben mögen oder auch nicht, auf jeden Fall im Geschmack leidlich sind, genau so wie dieses
superbe Album.