Wenn man sich nach und nach dieser Nürnberger Truppe und deren ersten Full-Length CD hingibt, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass die Progressive Metal Gemeinde kurz vor Jahres- und Gedankenwechsel noch einmal wach gerüttelt werden muss. Das bereits im Februar still klamm heimlich veröffentliche Fabelwerk ging auch fast an mir vorbei, und das wäre jammerschade gewesen, zumal dieses Generation Prog Label erst im Begriff ist, das Fundament zu errichten. Wann die anstehenden Releases nur annähernd so gelungen klingen wie das Label-Debüt
"Coma Ghosts", dann können wir uns auf was gefasst machen.
Die darauf enthaltenden Songs – sechs an der Zahl – bieten jedenfalls erstklassige Phonkost. Weder gibt es die profanen Strophe-Brigde-Chorus Standards, noch braucht man sich völlig diffusen Songstrukturen opfern. Betrachtet man obendrein das Artwork, lässt sich die latente Grundstimmung von
"Coma Ghosts" problemlos heraus filtern: Melancholie und Isolation. Der Geist des Komapatienten schlummert aber nur bedingt. Denn die Aggressivität in Form thrashiger Vorstöße bringt gewissenmaßen eine Dynamik ins Geschehen, die ein ums andere Mal den Hörer staunend zurück lässt. Mit Ausnahme vom ruhigen Instrumental
"Undercoat", das unter drei Minuten angesiedelt ist, bewegen
Effloresce ihren mystisch angehauchten Mammut-Prog-Metal meist in Überlänge. Nicht nur des Gesangs wegen seien Kaperzunder wie
Aghora oder
To-Mera als Referenz genannt.
Schon der Opener
"Crib" zeigt auf, wie galant
Effloresce zwischen den frühen
The Gathering, zahmen
Dream Theater und den klasssichen
Opeth ihren mächtigen Kahn navigieren. Zieht man das zweite Stück
"Spectre Pt. I Zoryas Dawn" (welches immerhin auf 10:34 kommt) heran, muss man der Kapelle spätestens jetzt eines attestieren, nämlich, dass man mannigfaltige Arrangements souverän - sprich: fliessend - zu kombinieren weiß. Alleine das niederstreckende Break bei Marke 1:00 ist sowas von geil, wonach man förmlich süchtig werden muss. Die aufgeigende Riff-Armada erinnert zudem an das Schweizer Trio
Coroner. Natürlich haftet den Nordbayern alleine wegen Nicki Webers Engelsstimme ein gewisser Gothic-Touch an, doch solange ihr Timbre in diesem Song-orientierten Kontext schwingt, sieht der Hörer über die kurzen Röchel-Anflüge im ebenso gelungenen Midtempo Stück
"Pavement Canvas" hinweg. Hätte man (bzw. Frau) darauf verzichtet, es wäre niemanden abgegangen.
Dennoch: Hier frisst sich fast jeder Ton tief unter die Haut, so auch die berauschende Ballade
"Swimming Through Deserts" samt ihren verträumten und äußerst samtig gezockten Akkorden. Beim abschließenden Sechszehnminüter
"Shuteye Wanderer" wurden alle genannten und nicht genannten Attribute dieser außergewöhnlichen Kapelle beeindruckend gebündelt: von epischen Bombastklängen über Flöteneinsätze bis zu den perfekt dosierten Blastbeat-Attacken hin ist alles vor Ort, was nicht nur das verwöhnte Prog-Metaller Herz begehrt. Und ja: den etwas selten benützten Terminus „grenzgenial“ grabe ich für solch eine monumentale Heldentat gerne wieder aus.
Multipliziert man das intelligent gestrickte Songwriting mit den filigranen Raffinessen dieser noch relativ unbekannten Kunstschmiede, kommt man um ein dickes Kompliment sowieso nicht herum. Addiert man den superben Mix von Produzentenlegende Dan Swanö (
Edge of Sanity,
Nightingale) noch hinzu, verdichtet sich der Gedanke, dass dem Quintett vom Weißwurst Äquator noch eine ganz große Karriere bevor steht. Wenn auch mit Verspätung: Eine DER Überraschungen des Jahres!