Als echter Old-School-Metal-Fan tut man sich mit dem
Grunge, diesem
kurzlebigen Garagenrock-Phänomen, das Anfang der 1990er aus Seattle als
alles verschlingender Hype über die Musikwelt hinwegfegte, recht schwer. Denn immerhin sorgten Typen wie Kurt Cobain mit ihren fettigen Haaren, löchrigen Jeans und Schlabbershirts dafür, dass schwarzes Leder, Nieten, Haarspray und Posertheatralik – quasi die Insignien des Heavy Metal – mitsamt der dazugehörigen Musik plötzlich fast vollkommen von der von MTV dominierten Bildfläche verschwanden. Der Heavy Metal soll sich von dieser fiesen, hinterhältigen Attacke eines Bastards aus Hardcore-Punk und 70er-Heavy-Rock der Marke alte Sabbath und Zeppelin mit der Attitüde eines schlecht angezogenen, zugekifften Studenten anscheinend nie mehr erholt haben und ganz Schlaue schieben gar den Grunge als Entschuldigung dafür vor, dass die alten Helden
Metallica nach
"Justice For All" nie mehr so wirklich heavy waren und Axel Rose fast 20 Jahre rekonvaleszent war, bis er sein durchaus wenig gelungenes Comeback versuchte .
Den Wahrheitsgehalt dieser an Verschwörungstheorien aus Akte-X erinnernden Dummheiten will ich an dieser Stelle einmal ordentlich anzweifeln und die Gelegenheit nutzen, eine vergessene Perle des Grunge auszugraben. Denn neben den Megasellern
Nirvana und
Pearl Jam gab es da eben auch noch die weniger kommerziell erfolgreichen Ensembles, die ihre Debuts bevorzugt auf den damals wegweisenden Undergroundlabels Sub Pop oder SST veröffentlichten. Für jede Million verkaufter CDs von
Alice in Chains oder
Soundgarden waren da die 10000 CDs von
Mudhoney (die übrigens am 9. April 1989 im winzigen Bogen 13 in Innsbruck ein allerkultigstes Konzert spielten) oder eben die
Screaming Trees.
Gegründet 1985, zählen die
Screaming Trees, bestehend aus den Brüdern John und Van Connor, Sänger Mark Lenegan und Drummer Mark Pickerel (1994 ersetzt durch Barrett Martin), zu den
Godfathers of Grunge. Den kommerziellen Durchbruch erlebte die Band schließlich 1992 mit dem immerhin schon sechsten Album,
"Sweet Oblivion", zu einer Zeit also, als
Nirvana,
Soundgarden,
Pearl Jam und
Alice in Chains sich ebenfalls gerade auf dem Höhepunkt ihrer Popularität befanden und zu absoluten Megasellern aufgestiegen waren. Und gerade anhand dieser wichtigsten Grunge-Bands sollte einem eigentlich klar werden, wie
musikalisch vielfältig diese
kurzlebige Bewegung aus Seattle eigentlich war: Während
Nirvana mit ihren einfachst gestrickten 3-Akkorde-Songs noch am ehesten den
Spirit des Punk atmeten, eiferten beispielsweise
Soundgarden und
Alice in Chains viel eher dem
fetten Breitwandrock der 70er nach. Die
Screaming Trees hingegen waren, so wie
Pearl Jam, mit ihrem wesentlich poppigeren und ruhigeren Sound den 60ern näher als jeder anderen Dekade der Rockmusik. Wo bei
Nirvana der
Superfuzz knirschte, drehten die Trees lieber mal die Distortion ein wenig zurück und warteten mit besinnlicheren Klängen auf.
"Dust", das siebte und letztendlich leider finale Album der
Screaming Trees stellte einmal mehr unter Beweis, dass Mark Lenegan und seine Kumpels den Erfolg der Großen aus Seattle genau so verdient hätten, sich dieser aber aus vielfältigen Gründen niemals einstellen wollte.
So hebt das Album schon mehr als grandios mit dem von
indischen Sitarklängen getragenen
"Halo of Ashes" an, ein flotter, geradliniger Track, der durch die ungewöhnliche Instrumentierung glänzt.
Auf dem anfangs ziemlich bluesigen
"All I Know" steuert Chris Goss, spärlich behaarter Sänger der
Masters of Reality, auf seine unnachahmliche Weise Backing Vocals bei. Der Song lebt durch seinen
genialen Refrain und ein sich bis zur Eruption steigerndes Solo von Gitarrist Connor.
"Look at You", einer der ruhigeren Songs des Albums, wird zwar von Gitarren getragen, im Hintergrund meldet sich aber ständig, wie auch bei anderen Songs, eine Hammondorgel zu Wort.
"Dying Days" beginnt zwar ruhig mit Akustikintro, steigert sich jedoch zu einem für Trees-Verhältnisse
ziemlich flotten Song und wartet zudem mit einem
Gitarrensolo von Pearl Jams Mike McCready auf. Wie bei vielen Trees-Songs kommt auch hier die fast als Trademark zu bezeichnenede Mischung aus verzerrten und cleanen Gitarren im Refrain zum Einsatz.
Mit
"Make My Mind" ist dann der
erste Höhepunkt des Albums erreicht, ein Song dessen beinahe hypnotisches, unverzerrtes Strophenriff in einen der
schönsten mehrstimmigen Refrains aller Zeiten mündet und schließlich von einem zwar simplen, jedoch ungeheuer effektvollen Solo beschlossen wird.
"Sworn and Broken" ist der (beinahe) weichste Track auf
"Dust" und kommt, begleitet von Streichern, fast ohne verzerrte Gitarren aus, steigert sich jedoch langsam und entwickelt durch das abschließende Mellotron-Solo eine ziemlich
trippige 60ies-Atmosphäre.
Mit dem treibenden
"Witness" folgt dann der härteste und schnellste Song des Albums, des Professors persönlicher Favorit, gekrönt von einem Refrain mit absoluten Stadionqualitäten.
Nach einem solchen Hammer folgt dann mit der Akustikballade
"Traveler" ein weiterer Song mit spacigem 60er-Mellotron-Feelin und kommt ganz ohne Drums aus. Dadurch wirkt
"Traveler" jedoch ein wenig wie ein Fremdkörper auf diesem Album, hat er doch viel mehr mit Mark Lanegans Solo-Alben gemeinsam. So verwundert es kaum, dass Lanegan, inzwischen mehr Liedermacher als Rocker, diesen Song auf Solo-Konzerten immer noch im Zugabenteil singt.
Mit mehr Rock entschädigt dann das hypnotische
"Dime Western", ein auf treibenden Tribal-Drums aufbauender Track, der wie der Opener
"Halo of Ashes" ziemlich indisch klingt.
Beschlossen wird
"Dust" dann von dem knapp 6-minütigen
"Gospel Plow", das mit Bongos absolut ungewöhnlich beginnt und urplötzlich in einen straighten Rocker umschlägt, der letztlich dann wieder mit Bongos ausklingt. Somit endet
eines der größten, gleichzeitig auch unterbewertetsten Alben der Grunge-Ära.
Trotz
überschwenglicher Reviews in beinahe allen Musikmagazinen blieb
"Dust" der große Erfolg verwehrt und die
Screaming Trees lösten sich schließlich im Jahre 2000 auf, zerbrochen an bandinternen Differenzen, hauptsächlich aber weil Langegan und Co. kein Label mehr für ihr geplantes achtes Album gewinnen konnten.
Mark Lenegan setzte daraufhin seine erfolgreiche Solokarriere fort und war für zwei Alben Mitglied bei den
Queens of the Stone Age (deren Boss Josh Homme zuvor für kurze Zeit bei den Trees als Tourgitarrist aushalf), während es den Conner-Brüdern nicht mehr wirklich gelang, im Musikbusiness Fuß zu fassen. Das Schicksal der
Screaming Trees spiegelt damit wieder einmal die unfassbare Ignoranz des Musikbusiness wider, hatte die Band doch mit Mark Lanegan einen der charismatischsten und originellsten Sänger in ihren Reihen und mit den Connor-Brüdern beinahe geniale Songwriter und Instrumentalisten, die noch wussten, wie man songdienlich spielt, ohne sich selbst unnötig in den Mittelpunkt zu stellen. (Aber vielleicht lag der kommerzielle Misserfolg der Band auch nur im massiven Übergewicht der damit auf MTV nur schwer zu vermarktenden bladen Connor-Brüder begründet… )
Witness - Eine der raren Live-Aufnahmen der Screaming Trees mit Josh Homme an der Rhythmusgitarre
Das Video zur Singleauskopplung All I Know