Als Metaller ist man es auf Konzerten ja normalerweise gewohnt, sich wild moshend unter Kuttenträger zu mischen, auf dem Bier verschmierten Hallenboden auszurutschen und vorsichtshalber die Heavy-Metal-gesmashten Ohrmuscheln mit Gehörschutz vor der völligen Taubheit zu bewahren. Zu seltenen Gelegenheiten tauscht aber selbst der radikalste Headbanger sein
Flotsam-Shirt gegen ein schickes weißes Hemd und verzichtet auf`s Stagediving und den obligatorischen Circle Pit. Bei mir persönlich geschieht dies ungefähr einmal pro Dekade, um ganz besonderen Künstlern wie
Tori Amos,
Dead Can Dance oder eben
Loreena McKennitt die Ehre zu erweisen. Letztere erlebte ich vor über 20 Jahren in Adelaide live und war damals völlig verzaubert. Umso mehr freute ich mich auf die nun anstehende Konzertreise, zumal diesmal nicht das
"große Besteck" mit kompletter Band aufgefahren wird, sondern eine Trio Performance Folk-Genuss pur verspricht.
Da der Termin in der Alten Oper zu Frankfurt leider ungünstig liegt, machen wir uns sonntags auf den Weg nach Mannheim, um zum ersten Mal den Mozartsaal des feudalen Rosengartens in Augen- und Ohrenschein zu nehmen. Unsere Konzertkarten sind vereinbarungsgemäß an der Kasse hinterlegt. An dieser Stelle herzlichen Dank an Mark Dehler von NETINFECT, der uns erstklassige Plätze reserviert hat. Bevor man die heiligen Hallen jedoch betreten darf, muss man seine Jacke an der Garderobe abgeben. Auf ein Stößchen an der Sektbar verzichten wir, genauso wie auf einen Großeinkauf am Merchstand.
"Troubadours On The Rhine"-Shirts sind dann halt doch nicht so sexy. Um kurz vor acht öffnen sich die Pforten zum Konzertsaal, wo die Bühne atmosphärisch durch elektronische Kerzenständer ausgeleuchtet und in violettes Licht getaucht ist. Wenige Minuten später nimmt
Loreena an ihrer Harfe Platz, so elegant und elfengleich als sei sie in den letzten zwanzig Jahren keinen Tag gealtert. Besonders bemerkenswert, da die Gute erst vor Kurzem ihren sechzigsten Geburtstag feierte. Flankiert wird sie von der nicht minder zauberhaften Caroline Lavelle am Cello und Brian Hughes an diversen Saiteninstrumenten. Nach den ersten beiden Stücken 'Samain Night' und 'All Souls Night' wird mit 'Twinkle Twinkle, Little Star' ein kurzes Intermezzo eingeschoben, währenddessen das Publikum gehalten ist Fotos zu schießen. Allerdings nicht ohne die ermahnende Ansage der Zeremonienmeisterin, dass danach alle Smartphones und Kameras verschwinden sollten. Überhaupt ist Frau
McKennitt eine Gegnerin solcherlei Gerätschaften, wie sie im späteren Verlauf des Abends noch ausführlich erklärt.
Loreena ist am heutigen Abend ohnehin sehr mitteilsam. So erfährt man, dass sie eigentlich Tierärztin werden wollte und sogar Deutschunterricht genoss (
"Ruhe, nicht so laut bitte!"). In erster Linie sind es jedoch ihre Reisen, von denen sie so manche Anekdote mitgebrachte und die sie zu den meisten ihrer Songs inspirierten. Diese liefern dann auch den Stoff für ihre teilweise ausführlichen Erzählungen. Der zweite Teil des ersten Sets besteht gar zum größten Teil aus Reisetagebuchzitaten, welche jedoch immer wieder durch wunderschöne Stücke wie 'The Emigration Tunes' oder 'The Wind That Shakes The Barley' vom nach wie vor aktuellen, gleichnamigen Album angereichert werden. Die laut eigener Aussage am häufigsten gestellte Frage nach einem neuen Album bleibt leider unbeantwortet. Wie üblich bei solcherlei Veranstaltungen gibt es nach dem ersten Set eine ca. halbstündige Pause, deren Ende durch einen Theatergong eingeläutet wird. Schließlich sind wir hier nicht bei
Rush oder
Maiden, die trotz hohen Alters gerne mal drei Stunden am Stück durchspielen. Als
McKennitt vor 'Stolen Child' zum wiederholten Male ausführlich auf ihren Lieblingsdichter WB Yeats verweist, möchte ich am liebsten
"Please Darling, let your music do the talking!" reinrufen. Natürlich tue ich es nicht, aber als wäre es mittels Telepathie zu ihr durchgedrungen, kommt es danach zu keinerlei verbalen Ausschweifungen mehr. Den Höhepunkt des Abends stellt erwartungsgemäß das großartige 'The Bonny Swans' dar, das in einem Gitarre-/Cello-Soloduell gipfelt, welches Caroline Lavelle klar für sich entscheidet. Was für eine fantastische Künstlerin, die der Hauptakteurin kaum nachsteht! Beide singen fantastisch, beherrschen eine Vielzahl von Instrumenten und haben eine Ausstrahlung zum Niederknien. Etwaige Soundlücken werden durch Meister Hughes an der Klampfe gestopft. Lediglich bei zwei Songs wird das Trio durch einen Roadie an der Fidel verstärkt. 'The Lady Of Shalott', 'The Dark Ways' und 'Dante's Prayer' treiben einem Tränen der Rührung und Freude in die Augen, bevor auch Set 2 - leider viel zu schnell - vorüber ist.
Obschon sicherlich an stehende Ovationen und frenetische Zugabeforderungen gewohnt, lässt sich das Trio Celeste noch zweimal bitten und verabschiedet sich endgültig mit 'Full Circle'. Die Lichter gehen an und ich höre eine Frau hinter mir sagen:
"Jetzt ist meine Seele erst mal wieder aufgeladen".
Schöner kann man dieses Konzerterlebnis nicht zusammenfassen.
Fotos: Heiko Glinitzki